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Säkularisation –
Was ist das?

Von Frank Druffner
 


Abt Anselm II. Schwab (Portrait von 1749), einer der letzten Äbte der Zisterzienter-Reichsabtei Salem

Abt Anselm II. Schwab (Portrait von 1749), einer der letzten Äbte der Zisterzienter-Reichsabtei Salem

2003 jährt sich ein historisches Ereignis, das trotz seiner großen Bedeutung inzwischen fast in Vergessenheit geraten ist: Die Säkularisation, bei der vor 200 Jahren nahezu sämtliche geistlichen Reichsstände ausgelöscht wurden. Unter dem Titel "Alte Klöster - neue Herren" beschäftigt sich nun eine Große Landesausstellung mit diesem einschneidenden Thema.
Was verbirgt sich eigentlich hinter dem schwierigen Begriff "Säkularisation"? Im Allgemeinen versteht man unter Säkularisation (von lateinisch "saecularis" – weltlich) staatliche Eingriffe in kirchliche Vermögensrechte, besonders aber die Enteignung oder Aufhebung geistlicher Institutionen zu weltlichen Zwecken. Derartige Eingriffe wurden beispielsweise in der Reformationszeit vorgenommen; berühmte süddeutsche Klöster wie Maulbronn, Hirsau oder Bebenhausen wurden damals aufgehoben und in protestantische Schulen umgewandelt. Die umfassendste Säkularisation aber fand zu Beginn des 19. Jahrhunderts statt, als nahezu alle Klöster, Stifte und geistliche Herrschaften aufgehoben wurden. Damals wechselten im Reichsgebiet annähernd 95.000 Quadratkilometer Land und damit über drei Millionen Bewohner ihren Besitzer. Wie konnte es zu diesem ungeheuerlichen Vorgang kommen?
 

"Am Anfang war Napoleon"

Der Reichsdeputationshauptschluss von 1803 besiegelte die Auflösung der geistlichen Herrschaften

Der Reichsdeputationshauptschluss von 1803 besiegelte die Auflösung der geistlichen Herrschaften

Mit diesem Satz beginnt der Historiker Thomas Nipperdey seine dreibändige Geschichte Deutschlands im 19. Jahrhundert. Er ist insofern zutreffend, als durch den korsischen Feldherrn die Weichen für die weitere Entwicklung des deutschen Staates gestellt wurden. Eine frühe Etappe dieses Prozesses war die Säkularisation. Sie hat ihre Gründe in der Machtpolitik Napoleons: Er verwirklichte den alten Traum der Französischen Könige und schob die französische Ostgrenze tatsächlich bis an den Rhein vor. Dadurch verloren zahlreiche Fürsten des Deutschen Reichs ihren linksrheinischen Besitz – die Württemberger etwa die Grafschaft Mömpelgard und elsässische Güter, das Haus Baden ebenfalls elsässischen Kleinbesitz. Von vornherein fanden jedoch Verhandlungen statt, die sich mit der Möglichkeit angemessener Entschädigungsleistungen befassten. Napoleon wollte seinen Gewinn freilich nicht durch die Gegengabe französischen Grundbesitzes schmälern – er handelte mit den europäischen Fürsten ein anderes Verfahren aus: Geistliche Länder (Bistümer, Reichsabteien, Prälaturen) und Reichsstädte, die jeweils bisher selbstständig waren, verloren ihren reichsunmittelbaren Status und wurden dem Landbesitz der jeweils zu Entschädigenden zugeschlagen. Dieses Verfahren war nicht zuletzt dem Verhandlungsgeschick Zar Alexanders I. zu verdanken, der auf diese Weise seine Verwandtschaft stärken wollte. Seine Mutter war Maria Feodorowna, eine württembergische Prinzessin, seine Gemahlin war Luise von Baden. Die Länder dieser beiden versippten Dynastien profitierten in hohem Maße von der Säkularisation und der sie begleitenden "Mediatisierung" (der Unterstellung und Einverleibung ehemals selbstständiger Gemeinwesen). Württemberg wurde für den Verlust von sieben Quadratmeilen mit 14.000 Untertanen mit 29 Quadratmeilen und 110.000 Untertanen entschädigt; Baden erhielt als Gegenleistung für acht verlorene Quadratmeilen mit 25.000 Untertanen fast 60 Quadratmeilen mit 237.000 Bewohnern.
Ein Pfarrer rettete diesen Kelch (18.Jh.) aus dem Kloster Zwiefalten vor dem Einschmelzen

Ein Pfarrer rettete diesen Kelch (18.Jh.) aus dem Kloster Zwiefalten vor dem Einschmelzen

Insgesamt wurden im Zuge der Säkularisation bis 1806 zwei geistliche Kurfürstentümer, 21 Bistümer, 44 Reichsabteien und – als so genanntes "Dispositionsgut", das den jeweiligen Landesherrn zur freien Verfügung gestellt wurde – 200 landsässige Klöster und Stifte aufgelöst; dasselbe Schicksal traf 41 Reichsstädte und -dörfer sowie die gesamten reichsritterschaftlichen Gebiete. Die Landkarte der südlichen Reichsteile, die zuvor in ihrer Aufsplitterung wie ein Flickenteppich wirkte, war bereinigt – aus Baden und Württemberg waren ansehnliche Flächenstaaten geworden, die sich Napoleon als Gegengewicht zu den deutschen Großmächten Preußen und Österreich gewünscht hatte.
 

Alte Klöster – neue Herren

Nachdem die Säkularisation beschlossene Sache war, setzte die Verwaltungsmaschinerie ein. So genannte Kommissionäre begaben sich im Auftrag der Landesherren in die zuvor schriftlich informierten Klöster und Stifte und schlugen dort öffentlich das "Besitzergreifungspatent" an die Tore. Das betroffene Personal – Nonnen, Mönche, Äbte und Äbtissinnen sowie Stiftsgeistliche, Domherren und ehemalige Pröpste oder Bischöfe – wurde mit gestaffelten Pensionen abgefunden; gelegentlich verteilten sich die Geistlichen auf Pfarrkirchen, die Klosterfrauen auf karitative Einrichtungen. Übertritte der Ordensleute in die Reihen der Weltgeistlichen sowie Heiraten der nun leicht ihrer Gelübde zu entbindenden Klosterinsassen waren keine Seltenheit. Auf der anderen Seite jedoch gab es Versuche, durch die Abwanderung ins benachbarte Ausland Konvente am Leben zu erhalten (hierfür liefert St. Blasien im Schwarzwald, dessen Bewohner nach St. Paul im österreichischen Lavanttal zogen, ein prominentes Beispiel).
Prachtmonstranz von 1730 aus dem Kloster Inzigkofen

Prachtmonstranz von 1730 aus dem Kloster Inzigkofen

Die verlassenen oder nur noch von alten Klosterleuten bewohnten Einrichtungen wurden mit bürokratischer Sorgfalt aufgenommen: So entstanden ausführliche Inventare über immobilen und mobilen Besitz. Aber auch der zurückgelassene, klostereigene Güterstand der einzelnen Bewohner wurde registriert und ebenso Vieh-, Feld- und Gebäudebesitz. Die zahlreich erhaltenen Inventare dienten letztlich auch dazu, wertvolle Gegenstände in die Residenzstädte verbringen zu lassen und dort auf die jeweiligen Stellen – Archive, Bibliotheken, Sammlungen – zu verteilen. Ein Großteil der aus edlen Metallen gefertigten Gegenstände wie Kelche, Leuchter oder Gebrauchssilber wurde freilich eingeschmolzen und anderen Verwendungszwecken zugeführt. Die großherzoglich-badische Krone etwa verdeutlicht dies: Nachdem Baden bereits 1806 zum Großfürstentum erhoben worden war, kam 1808 erstmals der Wunsch nach neuen Insignien, nach Krone und Szepter auf. Längst waren die Zeiten vorüber, zu denen die Fürsten ihre Kronen tatsächlich auf dem Kopf trugen – für bestimmte Zeremonien jedoch waren sie unverzichtbar. Die von Großherzog Karl Friedrich in Auftrag gegebenen Würdezeichen wurden allerdings erst 1811, gerade rechtzeitig zu seiner Beisetzung, fertig gestellt. Wir wissen durch Quellen, woraus die damals am Sarg
Magnusstab aus dem Kloster Wald, 1741

Magnusstab aus dem Kloster Wald, 1741

ausgestellte Krone gefertigt war: nämlich aus verschiedenen Gegenständen aus dem Rastatter Hofkirchenschatz, aus Steinen, die zuvor Gerät und Schmuck der Äbte von St. Blasien schmückten, und aus Säkularisationsgut aus Säckingen, Bruchsal, Speyer und Schwarzach sowie aus dem Schmuck des durch die Standeserhöhung überflüssigen Kurhutes. Nicht zufällig zeigt das Plakat zur Großen Landesausstellung "Alte Klöster – neue Herren" die linke Hälfte der Schussenrieder Abtsmitra und die rechte Hälfte der großherzoglich-badischen Krone. Sinnbildhaft soll dieses Motiv den "Umsturz" der Säkularisation (man hat auch von einer Fürstenrevolution gesprochen) veranschaulichen.
So wie das Inventar wurden auch die Gebäude und Liegenschaften der Klöster häufig neuen Nutzungen zugeführt (sofern sie nicht radikal abgerissen wurden): In Klostermauern ließen sich Heilanstalten, Schulen oder Pflegeheime nieder oder sie verwandelten sich in Brauereien, Fabriken, manchmal sogar Waffenschmieden. Nur in wenigen Landesteilen, in Baden zumal, blieben bestimmte Frauenklöster am Leben: Die Säkularisation hatte nämlich auch zur Folge, dass das Schul- und Volksschulwesen in eine Art Vakuum geriet, das der Staat erst allmählich auszufüllen vermochte.
Silberteller aus dem Hause Württemberg (Anfang 19.Jh) - Gegossen aus Säkularisationsgut

Silberteller aus dem Hause Württemberg (Anfang 19.Jh) - Gegossen aus Säkularisationsgut

Das große Ergebnis der Säkularisation war letztendlich die parallele Existenz zweier Institutionen, deren eine, die Kirche, nun finanziell von der anderen, dem "Staat", für die Vermögenseingriffe von 1803 nachträglich "entschädigt" wurde: Dies ist der Sinn der bis heute erhobenen Kirchensteuer.
 
Buchtipps
Himmelein, Volker u. Rudolf, Hans-Ulrich (Hrsg.):
Alte Klöster – neue Herren. Die Säkularisation im deutschen Südwesten 1803, Ausstellungskatalog und Aufsatzbände, Ostfildern 2003
 
Kirmeier, Josef u. a. (Hrsg.):
Glanz und Ende der alten Klöster – Säkularisation im bayerischen Oberland 1803, Ausstellungskatalog, München 1991
 
Schmid, Hermann:
Die Säkularisation der Klöster in Baden 1802-1811,
Überlingen 1980
 
Erzberger, Matthias:
Die Säkularisation in Württemberg von 1802-1810, Stuttgart 1902
 
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