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Allerheiligen und Allerseelen: Totengedenken am Jahresende

Günter Schenk

Die antiken Totenfeiern wurden im Frühjahr abgehalten – Wichtigstes Brauchelement ist das Licht
 
An den Tod, die Vergänglichkeit alles Irdischen, mahnen am Ende des Jahres ein paar stille Gedenktage: Allerheiligen, Allerseelen und der Totensonntag, mit dem das Kirchenjahr endet. Ewigkeitssonntag heißt er auch noch als Hinweis darauf, dass das Leben des gläubigen Christen einen tieferen Sinn hat, dass Gott am Jüngsten Tag über jeden richtet. Mit Blumen, Kränzen und kleinen Lichtern auf den Gräbern gedenken die Menschen der Verstorbenen – und mancherorts ziehen kleine Prozessionen über die Friedhöfe.
 
Schon früh gedachte die Kirche all derer, die für den Glauben starben. Diese Gedächtnisfeiern für die Märtyrer sollten den Christen klarmachen: Seht, so wie sie könnt auch ihr sein! Offiziell aber wurde das Allerheiligenfest erst Anfang des siebten Jahrhunderts im Kirchenkalender verankert – im Frühjahr zunächst, wie die meisten antiken Totenfeiern. Erst im Jahr 835 verlegte Papst Gregor IV. das Fest auf den 1. November, der noch heute in vielen katholischen Ländern Feiertag ist.
 
Erinnert Allerheiligen an die Toten, die schon endgültig im Reich Gottes sind, an die Märtyrer und Heiligen, so verweist Allerseelen auf alle, die ihren Seelenfrieden noch nicht haben. Schon in früher Christenheit betete man für die Seelen der Toten, einen eigenen Gedenktag aber gab es dafür nicht. Der kam erst zur Jahrtausendwende auf – vor allem in den großen Benediktinerabteien Frankreichs, wo man zu Ehren der Verstorbenen besondere Messen las und Stiftungen eingerichtet hat. Papst Johannes war es schließlich, der im Jahr 1006 das Allerseelenfest auf den 2. November festsetzte.
 
In seinem Mittelpunkt steht bis heute das Gebet für die „armen Seelen“. Nachdem 1563 das Konzil in Triest die alte kirchliche Lehre bestätigt hatte, dass Gebete und Messen die Wartezeiten der armen Seelen im Fegefeuer verkürzen könnten, gründeten sich zahlreiche Bruderschaften, die regelmäßig gemeinsam für die Verstorbenen beteten. Viele hatten ihre eigenen Andachtsbücher. „Es ist ein heilsamer Gedanken vor die toten betten, damit sie von Sünden aufgelöset werden“, heißt es in einem Mainzer Gebetbüchlein, das die Bruderschaft der Pfarrei St. Emmeram 1756 drucken ließ. Der Angst vor dem Fegefeuer verdanken zahllose Kirchen einen Großteil ihrer Ausstattung. Vor allem die Reichen, immer auf der Suche nach einem guten Platz im Jenseits, stifteten Altäre und Kapellen, in denen die Geistlichen für ihr Seelenheil tätig werden sollten. Oft ließen sich die Stifter auf den von ihnen finanzierten Altarbildern verewigen, die häufig die armen Seelen im Fegefeuer zeigten – einer Zwischenstation auf dem Weg zum Himmel. Auch Kranke und Arme hatten ihren Nutzen von der Todesfurcht, stifteten doch viele, um schnell in den Himmel zu kommen, so genannte Seelgeräte, hinter denen sich soziale Einrichtungen wie Wärmestuben oder Siechenhäuser verbargen. Zwar hatte Luther für diese Form der Jenseits-Vorsorge wenig Verständnis, doch bei den Katholiken führte der Glaube, dass man die Seelen der Toten durch Fürbitte und Zuspruch erlösen könnte, zu immer neuen Formen der Volksfrömmigkeit. „An Allerseelen“, schrieb der Schriftsteller Peter Rosegger in einer seiner Erzählungen, „wird keine Tür und kein Tor gewaltsam zugeschlagen, aus Furcht, eine arme Seele zu zerquetschen. Da wird kein Messer auf dem Rücken, kein Rechen mit den Zinken nach oben liegengelassen, aus Vorsicht, dass nicht irgendeine arme Seele darüber stolpere, sich ritze oder schneide. Auch darf an diesem Tag keine leere Pfanne über dem Feuer stehen, damit sich nicht unversehens eine arme Seele hineinsetze und elend verbrenne“.
 
Vielerorts war es an der Tagesordnung, die Toten zu bewirten, ihnen das Allerseelenbrot auf das Grab zu legen oder den Tisch für sie zusätzlich zu decken – ein Brauch, der in vielen mittel- und südamerikanischen Ländern noch heute lebendig ist. In einigen Gebieten werden zum Gedenken an die Toten so genannte Seelenwecken und –brote gebacken, manchmal auch Hefezöpfe wie in Bayern, wo sie die Patenkinder am Allerseelentag von ihren Firm- oder Taufpaten geschenkt bekommen. In der Eifel ziehen Kinder und Jugendliche an den Totengedenktagen von Haus zu Haus, um für die armen Seelen zu bitten und Geld für die Totenmesse zu sammeln. „Gott grüß Euch all in Ehren, die Ihr da drinnen seid, Gott löst die armen Seelen, die im Fegfeuer sind“, begrüßen die Buben und Mädchen dabei die Bürger bei ihrem Rundgang.
 
Wichtigstes Brauchelement an den Totengedenktagen aber ist das Licht, das im Volksglauben die armen Seelen besonders erfreut. Wachs- und Öllichter sollen an den Heiland erinnern, das wahre Licht, das jeden Menschen erleuchtet, der in diese Welt kommt – und an die Christenpflicht, als Kinder des Lichts zu wandeln. Schon im Mittelalter hatten die Gläubigen das Wachs gleich pfundweise auf die Gräber gestellt – und in der Woche nach Allerseelen brannten in vielen Häusern in Erinnerung an die Toten gewaltige Kerzen nieder. Wer etwas auf sich hielt, legte den Lichterschmuck schon im Testament fest. Im Jahr 1347 hatte eine Richildis von Sebernheim bestimmt, von ihrem Nachlass zwanzig Pfund Wachs zu kaufen und an ihren Gedächtnistagen aufs Grab zu stellen – „in cereis und nebelung“, als Kerzen und Nebelinge, wie die Kegel aus gerollten Wachsfäden vielerorts heißen, die noch heute zu Allerseelen auf die Gräber gestellt werden.
 
Neben den Lichtern schmücken vor allem Blumen und Kränze die Gräber der Toten. Populär wurde der Kranz aber erst im späten 18. Jahrhundert, als große Zentralfriedhöfe die kleinen Grabstätten im Schatten der Dorfkirchen ablösten. Besonders beliebt waren einst Kränze aus Glasperlen oder gestanzten Metallteilen, mit bunten Blättern, die zwar viele Käufer fanden, nicht aber den Beifall der Chronisten. „Die Kränze waren durch Bemalung vor Rost geschützt und konnten auch noch für folgende Jahre dienen. Das Herz ansprechend aber waren diese Grabzierarten nicht“ , schrieb 1886 eine deutsche Tageszeitung, deren Reporter an Allerheiligen unterwegs war. „Groß und Klein, Reich und Arm wanderten in Scharen hinaus zu der Stätte, wo unsere Heimgegangenen schlummern, um in pietätvoller Erinnerung Blumen und Kränze auf ihre Grabhügel niederzulegen und ihr Andenken zu feiern.“
 
„Du tust keine Sünde daran, wenn du der Toten nicht gedenkst“, hatte Martin Luther am Allerseelentag 1522 gepredigt. Der Reformator sprach den Lebenden damals die Möglichkeit ab, für die Verstorbenen etwas Gutes tun zu können. Deren Schicksal, war seine Meinung, bestimmte allein die Allmacht Gottes. Gute Worte und Werke solle man weniger den Toten, sondern den Lebenden entgegenbringen. So erklärt sich, dass Allerseelen in den protestantischen Regionen an Bedeutung verlor. Das Gedächtnis an die Toten aber konnte auch die Reformation nicht auslöschen. Vor allem die großen Kriege, in denen hunderttausende von Menschen fielen, gaben Anlass zur Besinnung. 1816 erklärte der Preußenkönig Friedrich Wilhelm schließlich den Totensonntag zum gesetzlichen Feiertag: in Erinnerung an die Gefallenen der Befreiungskriege, mehr noch aber als Mahnung an das Jüngste Gericht: den Tag, an dem Christus die Gerechten von den Verdammten scheidet.
 
Aus: Stuttgarter Zeitung vom 31.10.96
 
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