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Traudl Härle

Männerröck und Weiberschürz - auch Kleider haben eine Geschichte 1


Was haben die Menschen vor rund 150 Jahren in Oberschwaben und im Allgäu getragen? Worin unterschied sich die männliche von der weiblichen Garderobe? Gab es vielleicht eine Tracht? Was hat Kleidung mit Politik zu tun? Eine Fülle dieser Fragen wird im folgenden Beitrag zur Kleidergeschichte beantwortet, wobei zugleich Forschungsneuland in Oberschwaben beschritten wird.
 

Ausschnitt aus G. Sauter (1782-1856):
Oberschwäbischer Jahrmarkt, 1836. Das Bild zeigt die ganze Fülle der unterschiedlichen Kleidung in Stadt und Land: Kopftuch, Radhaube, runder Hut, Zylinder; Dreispitz, Kappe.

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Rückbesinnung auf Alltagsgeschichte ist heute "in": Wir überlegen, wie die Urgroßmutter gekocht und gewaschen hat, oder wie der Urgroßvater einst die Ernte einbrachte. Alter Hausrat wird gesammelt, liebevoll gepflegt, oft wieder funktionsfähig gemacht und voll Stolz vorgeführt. Handwerkertage in Bauernhausmuseen, bei Stadtfesten oder anderen Anlässen erfreuen sich zunehmender Beliebtheit. Dabei wird allerdings zumeist an einem recht idealisierenden Bild der "guten alten Zeit" gestrickt. In Wirklichkeit war das Leben unserer Altvorderen so einfach sicher nicht, wie es sich aus vereinzelten Dokumenten und Objekten darbietet. Ein Stiefkind bei all diesen Überlegungen, wie es denn früher so war, ist die Frage nach der Kleidung. Die gängige Antwort lautet: "Die Leute trugen halt Tracht". Aber, gab es denn die Tracht überhaupt? Wie sah sie aus? Woher kamen die Stoffe? Hat wirklich jede Frau ihre Kleider selbst genäht und dazu auch noch die Stoffe angefertigt? Welche Vorbilder für Kleiderschnitte gab es? Hat gar die Politik etwas mit Kleidung zu tun? Diese Reihe von Fragen ließe sich beliebig fortsetzen. Seit einigen Jahren versuche ich, darauf Antworten zu finden und möchte im folgenden ein wenig aus meiner Arbeit berichten. Meine Untersuchung betrifft etwa den Zeitraum zwischen 1790 und 1840 und bezieht sich schwerpunktmäßig auf die Gemeinden des Verwaltungsverbandes Altshausen und einige Orte des Altkreises Wangen. 2

Kleider und Kleidervorschriften

"Polizeivorschriften bestimmten die Kleidung", eine heute für uns recht merkwürdige Aussage, schließlich können wir doch anziehen, was uns gefällt, was modern ist und worin wir uns wohl fühlen. Bei genauerem Nachdenken entdecken wir aber auch in unserem Leben Kleidervorschriften. Für Militär und Polizei ist das äußere Erscheinungsbild genau vorgeschrieben, Richter tragen Roben, Pfarrer Talare, und für bestimmte Berufsgruppen besteht Krawattenzwang. Zum Theaterbesuch oder zur Familienfeier kleiden wir uns festlich, und bei Beerdigungen überwiegt die schwarze oder dunkle Kleidung. Trotzdem, und insbesondere für den Freizeitbereich, gilt: Die Entscheidung darüber, was wir anziehen wollen, bleibt weitgehend uns selbst überlassen. Ganz anders jedoch verhielt es sich früher, denn etwa bis zur Französischen Revolution 1789 gab es Kleidervorschriften für die verschiedenen Stände. Solche Erlasse sollten dafür sorgen, daß die Standeszugehörigkeit an der Kleidung erkennbar war, Ausgaben für nicht im Land erzeugte Waren vermieden wurden (in heutiger Terminologie: Schonung der Devisen) und vor allem die Sittsamkeit durch anständige Bekleidung gewahrt wurde. So können wir beispielsweise in der Reichspolizeiordnung von 1577 lesen: "Jeder kleide sich so, daß sein Stand und Herkommen an der Kleidung erkennbar ist. Der Geldaufwand halte sich in Grenzen, damit genügend Geld für die notwendigen Lebensmittel vorhanden ist. Bei Nichtbeachtung der Vorschriften wird eine Geldstrafe erhoben." 3
Für das Gebiet der Deutschordenskommende Altshausen konstatierte 1725 Johann Franz von Reinach, Landkomtur der Ballei Elsaß-Burgund, für seine Ordensuntertanen vorwurfsvoll: In den anvertrauten Herrschaftsgebieten sei zu beobachten, daß "sowohl der Bürgersmann als auch seine Kinder und Hausgenossen einen übermäßigen Luxus trieben, den die unvermögende ärmere Bevölkerung nachahme und hierdurch die Eltern sich aus gar zu zärtlicher Liebe gegen ihre Kinder in die äußerste Not stürzen". Dem Ordensritter ist es "höchst mißfällig, daß durch solchen übermäßigen Aufputz die Jugend zu aller Üppigkeit angelockt und Gott der Allmächtige beleidigt würde". Das alles veranlasse ihn, in den ihm "anvertrauten Ordensherrschaften eine ehrbare Kleiderordnung einzuführen und alle überflüssige Pracht abzuschaffen". Abgeschafft wurde alles, was "von Samt, Seide, Scharlach 4 , Scarlatin, Karmesin 5 und anderen farbenprächtigen, außer Landes fabrizierten Tüchern war, Gold- und Silberborten, Wickelhosen, seidene Hosenträger, Marderkappen, schwarze, leichte Gewirke 6 . Auch baumwollene Brusttücher, Korsetts, Halsbinden mit Spitzen, krause Hauben mit doppelten Spitzen, Schulterkragen und Hemdärmel mit Spitzen, auch mit Spitzen besetzte Mieder mit Fischbeinstäbchen, ebenso mit großen und zarten Spitzen besetzte weiße Hauben, Haarnadeln, farbenprächtige Strümpfe, seidene Preisriemen 7 , spitze Schuhe und Absätze, Halsketten, Zughauben, Westen und Röcke mit Taschen". Um die Situation zu verbessern, ergeht der Befehl, "daß man sich beiderlei Geschlechts in gewöhnlichem Landtuch, Leder und halbwollenen Zeug 8 und Zwilch 9 bekleiden soll. An Hochzeiten oder sogenannten Ehrentagen wird einer Braut ein ehrbares ganz wollenes Kleid gestattet. Dem Amtmann, den Gerichtsherren, ebenso Handwerksleuten und ähnlichen Berufen werden Rock und Weste mit Taschen und Marderhauben zu tragen erlaubt. Bei Zuwiderhandlungen werden die Kleidungsstücke eingezogen und andere Leibesstrafen verhängt. Die Verordnung wird vier Wochen lang an den Kirchentüren angeschlagen." 10 Besonders schwer hatte es der Rat der Reichsstadt Wangen, für die nötige Ordnung bei der Bekleidung zu sorgen. So finden wir in den dortigen Ratsprotokollen am 19. August 1751 eine Eintragung, die bei "den Weibsbildern" beklagt, daß neue durchsichtige (!) Goller 11 Mode geworden sind, die Gelegenheit zur Unzucht geben würden. Die Stadt- und Landpolizei solle in Zukunft darauf achten, daß sich die Frauen ehrbar bedecken und ihre Goller aus einheimischer Leinwand herstellen lassen. 12

Das Ende der Kleidervorschriften

Das Ende aller Kleidervorschriften setzte mit der Französischen Revolution ausgangs des 18. Jhs. ein. Mit ihren Idealen von Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit und deren Durchsetzung wurden die politischen Verhältnisse in Europa völlig durcheinandergewirbelt. Kein Standesherr konnte jetzt noch seine Untertanen mit Kleidervorschriften gängeln. Für militärische, Hof- und Beamtenkleidung allerdings blieben Vorschriften erhalten. Jetzt richtete sich das Kleiderverhalten nach anderen Kriterien: beispielsweise nach dem Geldbeutel, dem Marktangebot, der jeweiligen Mode und dem Erneuerungsbedürfnis an Kleidern.
"Die Forderungen von Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit haben weit über Frankreich hinaus entscheidende Auswirkungen auch auf das Kleiderverhalten der Bevölkerung gehabt (...). Der allgemeine Anspruch, geistig und handelnd frei zu sein, hat eine grundlegende Neuorientierung des Kleiderstils zur Folge: Die postulierte persönliche Freiheit des Individuums schließt körperliche Bewegungsfreiheit mit ein (...). Perücke und Zopf, die zur Welt der Aristokratie zählen und deshalb während der Revolutionsjahre zu Symbolen der Reaktion werden, sind nicht nur aufgrund ihrer politischen Vergangenheit unerträglich geworden: Sie sperren ein, zwängen den Kopf in eine Umhüllung, verstecken den natürlichen Haarwuchs. Und was sucht ein freier Geist in einem beengten Kopf? (...) Auch die Frauenkleidung verändert sich unter dem Einfluß der Revolution. Reifrock und Korsett verschwinden, dem Körper wird Freiraum und Beweglichkeit erlaubt." 13

J.F. Boldt (1789-1836):
Karikatur auf den Modekontrast zwischen Rokoko und Empire.

Eine reizende Karikatur von Joh. Friedrich Boldt (1769-1836) verdeutlicht dieses Zitat (siehe Abbildung). Die Mode des 18. Jhs. mit Reifrock, Mieder und Perücke bei der Dame, Kniehose, langem Rock und Zopffrisur stand im Gegensatz zur Mode des frühen 19. Jhs. nach der Französischen Revolution. Hier trug die Dame den losen Rock mit hoher Taille ohne Mieder und natürliches Haar. Die lange Hose, der Frack und kurzgeschnittenes Haar waren die Attribute der neuen Herrenmode. Allzulange hielt sich der Gedanke von der Freiheit des Körpers allerdings nicht. Schon um 1820 herum tauchten wieder Schnürmieder auf, diesmal in Form des Korsetts und als Unterwäsche getragen: Sie ließen die modebewußten Frauen geradezu nach Luft schnappen. Die Herren andererseits litten sicher unter den extrem hohen, steifen Krägen ihrer Fräcke. Vielleicht stammt von daher das Sprichwort: "Schönheit muß leiden".

Quellen zur Kleiderforschung - die Inventuren und Teilungen

Die hier aufgezeigte Modeentwicklung beeinflußte auch die Kleidung in unserer Gegend. Was trugen aber zu dieser Zeit unsere oberschwäbischen Landsleute? Zur Beantwortung dieser Frage habe ich die Quellengruppe der Inventur- und Teilungsakten systematisch ausgewertet - eine Methode, die bislang für Oberschwaben noch nicht in größerem Umfang geleistet wurde. 14 Weshalb aber gerade die Analyse von Inventuren und Teilungen? Im Zuge der gesamteuropäischen Neuordnung kam Oberschwaben um 1806 an das Königreich Württemberg. Ab 1807 veröffentlichte König Friedrich I. Regierungsblätter mit Gesetzen, Vorschriften und Erlassen, die dem gemeinen Volk vorgelesen wurden und deren Befolgung dann genau überprüft wurde. Nicht gerade begeistert übernahm auch unser Raum die neuen Reglementierungen. Die Kleiderforschung jedoch verdankt diesen württembergischen Gesetzen eine ausgesprochen wichtige Quellengattung: die Inventur- und Teilungsakten. Mit der Einführung des württembergischen Rechts in den neuwürttembergischen Gebieten, im Raum Altshausen etwa um 1808, wurden nun auch hier ausführliche amtliche Vermögensaufnahmen erstellt, die sogenannten Inventuren. Nach altwürttembergischem Recht, das jetzt auch für Oberschwaben und das Allgäu galt, mußte nämlich bei Erbfall, Eventualteilung, Hofübergabe zur Absicherung des Übergebers sowie bei Heirat oder Zwangsversteigerung eine Bestandsaufnahme des ganzen Besitzes vorgelegt werden. Die Listen enthalten häufig den genauen Beschrieb der gesamten Habe eines Mannes oder einer Frau, beginnend bei den Liegenschaften und endend bei den Vorräten. Mit schwäbischer Gründlichkeit wurden die Aufzeichnungen angelegt, die bis heute in den Gemeindearchiven aufbewahrt sind. Erstellt wurden die Listen in der Regel vom Schultheiß und von drei Waisenrichtern 15 , um anschließend vom Amtsschreiber des Oberamtes in Reinschrift gebracht zu werden. Den Amtsschreibern wurde die Arbeit nicht gerade erleichtert. So klagt ein neuer Schreiber, daß er wegen seiner völligen Unkenntnis der Lokalitäten und der örtlichen Gepflogenheiten sowie der mangelnden Hilfsbereitschaft der Leute einen Tag länger gebraucht habe als üblich, um die Inventur zu erstellen 16 . Der Schreiber mußte nach einem detailliert vorgegebenen Schema alle vorhandenen Gegenstände auflisten und zusammenzählen. Aktiv- und Passivvermögen wurden festgehalten. Dann wurden alle Schulden aufgerechnet und die Passiv- mit den Aktivposten verglichen. So entstand eine genaue Übersicht über das Vermögen. Anschließend an dieses aufwendige Verfahren wurde dann der verbleibende Rest gleichmäßig unter die Erben aufgeteilt.

Vermutlich um 1820:
Frau mit kleiner Goldhaube, seidenem Halstuch, Halsnuster mit Kreuzanhänger.

Inventuren und Teilungen verschaffen uns neben vielem anderen einen detaillierten Einblick in den Inhalt des Kleiderkastens von Mann und Frau. Um einen exakten Überblick zu bekommen, wurden von mir allein in den Archiven des Verwaltungsverbandes Altshausen 729 Listen, die sich aus 348 Mannskleider- und 381 Weibskleiderlisten zusammensetzen, erfaßt. Diese Listen enthalten oft genaue Angaben über Stoffart und Farbe der Garderobe, allerdings geben sie keine Auskunft über Kleiderschnitte und ihre Verarbeitung. Erschwerend kommt hinzu, daß viele heute nicht mehr gebräuchliche Bezeichnungen von Kleidungsstücken und Stoffen vorkommen. Etwa um 1825 herum schrieben die Schultheißen in manchen Fällen die Inventuren selbst. Da es mit deren Schrift und Rechtschreibung nicht immer zum Besten bestellt war, ist die Deutung des Geschriebenen oft schwierig. Laut und schwäbisch lesen oder ein französisches Wörterbuch helfen bisweilen. Frankreich war damals in der Mode führend, und französische Kleiderbezeichnungen wurden häufig verballhornt in der Umgangssprache verwendet wie beispielsweise das "Schmies", der schwäbische Ausdruck für französisch chemisette.
In der Regel stehen die Kleiderlisten an vierter Stelle der Inventur: allem voran die Liegenschaften, anschließend Bargeld (das selten vorhanden war), Schmuck (ebenfalls sehr bescheiden) und dann die Garderobe in den Rubriken "Mannskleider" und "Weibskleider". Die Männer- und Frauenbekleidung wird immer in getrennten Spalten aufgeführt, so daß eine Verwechslung nicht möglich ist, wenn zum Beispiel das Wort Rock verwendet wird. Bei der Auswertung der Listen lassen sich zur Art der Beschriebe einige wichtige Beobachtungen machen. Bis etwa 1818 werden die Akten recht großzügig geführt. Dazu ein Beispiel: 1 Männerrock = 3 Gulden 20 Kreuzer, 1 Weste = 1 Gulden 15 Kreuzer, 1 Hose = 1 Gulden 45 Kreuzer. Zwischen 1818 und 1845 finden sich häufig sehr genaue Angaben über die Kleidungsstücke, zum Beispiel bei den "Mannskleidern": 1 grüntücherner Rock = 2 Gulden 35 Kreuzer; 1 blauseidene Weste = 1 Gulden 15 Kreuzer; 1 Paar schwarzmanchesterne Hosen = 1 Gulden. Analog dazu verhält es sich mit den Frauenkleidern. Wahrscheinlich setzten sich die von Stuttgart aus erlassenen Gesetze erst allmählich in den neuwürttembergischen Gemeinden durch, und der jeweilige Oberamtsrichter hatte einen gewissen Ermessensspielraum. Ab 1850 versiegt der Informationswert der Inventuren und Teilungen, da bei der Inventarisierung eines Haushaltes nur noch summarisch der Gesamtwert der vorhandenen Kleider angegeben wurde. So lautet es dann knapp: "Männerkleider - 25 Gulden".
Die Quellenauswertung soll der Klärung folgender Fragen dienen: Welche Kleidungsstücke wurden von Männern und Frauen getragen? Welche Materialien und Farben wurden für die Garderobe verwendet? Wieviele verschiedene Kleidungsstücke hatten Männer und Frauen?

Die "Mannskleider"

Der durchschnittliche Besitz an "Mannskleidern" sah um 1820 etwa so aus: ein grüntücherner Rock zu 8 Gulden, ein brauntücherner Rock zu 3 Gulden, ein Zwilchkittel 17 für 40 Kreuzer, eine seidengestreifte Weste zu 2 Gulden, eine Manchesterweste für 30 Kreuzer, eine schwarze Lederhose für 1 Gulden 30 Kreuzer, zwei seidene Halstücher zu 1 Gulden, ein runder Hut zu 1 Gulden, fünf Hemden für 5 Gulden, zwei Paar Strümpfe für 1 Gulden sowie ein Paar Stiefel für 2 Gulden. Das ergibt eine Summe von 25 Gulden und 40 Kreuzern.
Der Rock des Mannes war ein langes, mit Ärmeln versehenes und gewöhnlich eng anliegendes Kleidungsstück, das den Oberkörper bedeckt und bis zum Knie reichen kann. Der Preis eines neuen Rockes lag bei 5 Gulden. Dieser Betrag ist schwer in Relation zum heutigen Geldwert zu setzen. Als Beispiel kann hier der Jahreslohn eines Knechtes dienen: Er erhielt in unserem Gebiet etwa 25 bis 30 Gulden bei freier Kost und Wohnung sowie jährlich ein Hemd, ein Paar Schuhe und ein Paar Strümpfe. Der Lohn war somit sein freies Geld, und mancher Knecht besaß eine bessere Garderobe als der Bauer, der den erzielten Gewinn wieder in seinen Betrieb investieren mußte.
An Stoffen wurden für die Männerröcke hauptsächlich Tuch 18 , Biber 19 , Flanell 20 oder Leinen verwendet. Der teuerste Stoff bei Röcken war das Tuch. Als Farben werden grün, grau, blau, braun, weiß und meliert genannt. Im Gegensatz zu Altwürttemberg tauchten die Röcke jedoch ausgesprochen selten in Schwarz auf: Schwarze Röcke gab es nur zwei Stück im Untersuchungsgebiet. In der altwürttembergischen Gemeinde Gerstetten auf der Ostalb waren nach Ernst Guther 40 % aller Männerröcke schwarz, und nicht ein grüner Rock erscheint in den Listen 21 . Die Erklärung dafür ist einfach: Grün durfte nur von Männern, die im Dienst des herzoglichen Hofs standen, getragen werden. Diese für Altwürttemberg geltende Vorschrift bestand in Oberschwaben nicht. Gelegentlich hingen Mäntel, Überröcke und Pelzröcke im Kasten, und ein Mann besaß einer Inventur zufolge einen "Sauhundrock" 22 . Zur Stallarbeit wurde ein Zwilchkittel übergezogen.
Der Frack nimmt bei der Männerkleidung eine Sonderstellung ein. In den Städten Isny und Wangen sind die ersten Fräcke um 1815 verzeichnet. Die Besitzer waren vermögende Bürger, meist Kaufleute. Sie hatten auch sonst eine wesentlich reichere Garderobe als die Bauersleute. Der Mann, der es sich leisten konnte, ging mit der neuen Zeit und kleidete sich entsprechend modisch. Auf dem Land trug um 1825 herum der Lehrer aus Ebersbach als erster einen violetten Frack. Bei den Bauern dagegen habe ich nie einen Frack gefunden. Eine Untersuchung von Steckbriefen aus dem Zeitraum zwischen 1807 und 1819 ergab, daß die zur Fahndung ausgeschriebenen Juden häufiger als die anderen Gesuchten einen Frack trugen. Als zweite Rubrik erscheint in den Inventuren und Teilungen die Weste. Drei bis fünf besaß üblicherweise ein Mann. Nicht in allen Listen kommt die Bezeichnung Weste vor, es gibt auch die Namen Wams, Kamisol 23 und Leible, dazu noch den "Schiler", der mir einiges Kopfzerbrechen bereitete. Beim lauten Lesen kam die Erleuchtung: Das ist die nach dem Gehör geschriebene französische Bezeichnung "gilet" für Weste. Vielfältige Stoffarten, Farben und Muster sind bei den Westen zu finden. Seide, Samt, Tuch und Manchester 24 erscheinen in den Tönen der Röcke, also grün, grau, blau, braun, weiß und meliert. Gestreift, gemustert und geblümt waren sie ein Farbtupfer in der sonst recht eintönigen Männerkleidung. Ab etwa 1820 werden Seidenwesten in verschiedenen bunten Mustern genannt. Vermögende Männer besaßen schon mal eine Weste mit Silberknöpfen, deren Wert wesentlich höher lag als bei der Alltagsweste, die neu etwa 2 Gulden kostete.
Bei den Hosen sind Material- und Farbangaben seltener. Bis etwa 1820 überwogen meist schwarze Lederhosen, später Manchester- und Tuchhosen. Vermutlich waren die Lederhosen als Kniebundhosen genäht, während es sich bei Tuch und Manchester eher um lange Hosen handelte. Zur Arbeit wurde Zwilch, Leinen und Nanking 25 getragen. Im Höchstfall besaß der Mann drei Hosen. 3 bis 4 Gulden mußten für eine neue Hose angelegt werden. Am deutlichsten läßt sich hier ein modischer Trend feststellen. Die altherkömmliche Lederhose tritt nun zugunsten der langen Hose deutlich zurück, wie folgende Tabelle zeigt:
  ledern manchestern tüchern
1809-19: 80% 7% 5%
1820-29 34% 10% 11%
1830-39 21% 8% 30%
1840-50 15% 26% 26%

 
Hosenträger waren sehr selten. Unterhosen trugen nur die älteren Männer; sonstige Unterwäsche und Nachtkleidung waren fast unbekannt. Ab 1830 hatte der bessere Herr, vor allem in Altshausen, Schlafkappen und schon mal einen Schlafrock. Eine andere Nachtbekleidung gab es nicht. Zur Aussteuer eines Mannes gehörten in der Regel acht Hemden, die dank ihrer guten Qualität lange hielten. Neu kostete eines etwa 1 Gulden. Als Material wurde wohl naturfarbenes Leinen in verschiedener Qualität verwendet, z. B. flächsern, reusten oder hänfern 26 . Gelegentlich gab es auch ein baumwollenes Hemd. Um den Hals trug der Mann eine meist schwarze Halsbinde, die "Flor" genannt wurde. Ein bis zwei schwarze Halstücher besaß jeder, und nur ganz selten waren sie nicht aus Seide. Einmal habe ich in einer Inventur- und Teilungsakte einen "Grawad", also eine Krawatte, gefunden, dessen Preis bei 40 Kreuzern lag.
Zu einem "rechten Mann" gehörten mindestens ein Hut und eine Kappe. Leider existieren kaum Beschreibungen von ihnen. Zwischen 1808 und 1819 waren es gerade noch 20 % dreieckige Hüte; sonst erscheint, wenn überhaupt näher charakterisiert, die Bezeichnung "rund". Schwarzer Filz wird erwähnt. In der Zeit von 1820 bis 1850 werden nur noch zwei alte dreieckige Hüte verzeichnet. Die Zeit der Dreispitze und Schifferhüte war endgültig vorbei. Gekostet haben die Hüte 1 Gulden. Ab 1830 trat auch im Dorf der modisch orientierte Mann auf, der Zylinder oder Seidenhut trug. Zur Arbeit setzte man eine Kappe, meist mit Schild, auf. Der mittlere Preis der Kappen belief sich auf etwa 30 Kreuzer. Es erscheinen auch alte Uniformkappen, die aufgetragen wurden. Besonders auffällig ist, daß etwa ab 1835 Amtsinhaber, beispielsweise Gemeindediener, eine oder zwei tücherne Schildkappen von besserer Qualität hatten. Damit sollte wohl ihre Bedeutung als Amtsträger unterstrichen werden.
Strümpfe sind sehr spärlich beschrieben. Vier Paar aus Wolle, Leinen und Baumwolle waren die Regel. Gestrickte Strümpfe dagegen wurden selten verwendet. Gängige Farben waren weiß, braun und schwarz. Winter- und Sommerstrümpfe, Ober- und Unterstrümpfe werden gleichfalls aufgelistet. Das Paar neue Strümpfe kostete etwa 1 Gulden. Socken kommen nur ganz vereinzelt in den letzten Jahren des untersuchten Zeitraumes vor. Ein Paar neue Stiefel zu 3 Gulden und ein Paar Schuhe um 1 Gulden 30 Kreuzer machten die gesamte Fußbekleidung aus. In Ausnahmefällen besaß der Mann mehrere Paar Stiefel und Schuhe sowie pelzgefütterte Stiefel. Einmal werden sogar Seehundstiefel genannt. Bei den Stiefeln taucht der nach dem russischen General Alexander Suwarow (1729-1800) benannte "Suwarowstiefel" auf 27 . Zwischen 1809 und 1820 erscheinen gelegentlich noch Schuhe mit Schnallen. Die Bossen, also schwere Arbeitsschuhe 28 , und bei den bessergestellten Herren die Pantoffeln, vervollständigen die Schuhbekleidung. Handschuhe, genauer als Fuchs- oder Pelzhandschuhe bezeichnet, nannte nur etwa jeder fünfte Mann sein eigen. Gekostet haben sie 40 Kreuzer.
Sacktücher gehörten ebenfalls zur Ausstattung; sie waren etwa serviettengroß und häufig rot. Neu betrugen sie 30 Kreuzer pro Stück, und lediglich zwei davon besaß der Mann.
Metzgermeister aus Althausen

Unbekannter Meister:
Metzgermeister Ehepaar aus Altshausen, ca. 1840-1850. Er trägt die Schmelzkappe, einen hohen Rockkragen, eine Seidenweste und eine Halsbinde aus Seide.

Eine Rubrik der Inventur- und Teilungsakten nennt sich "Gold und Silber".
Der Amtsschreiber hatte allerdings wenig Arbeit bei der Erstellung der Schmucklisten. Vermögendere Männer besaßen eine silberne Sackuhr mit zwei Gehäusen, manchmal mit einer Silberkette; aber auch einfache Taschenuhren gab es. Der reiche Bürger verfügte noch über eine Silberkette, einige Ringe und gelegentlich auch mal einen Siegelring. Silberne Schnupftabaksdosen und silberbeschlagene Tabakspfeifen zierten ebenfalls die Herren. Der gemeine Mann begnügte sich mit einer "Sackuhr", wenns hoch kommt mit einer billigen silbernen Uhrkette daran. Hin und wieder zieren die Bekleidung Hut-, Hosen- und Schuhschnallen aus Silber oder billigeren Materialien. Ab 1835 verschwinden die Schnallen dann allerdings aus den Aufzeichnungen. In Altshausen hielt der Arzt sogar ein silberbeschlagenes Meerrohrstöckchen in Händen. Der Rosenkranz, auch "Betnuster" genannt, fand sich bei jedem dritten Mann.

Die "Weibskleider"

Ein wesentlich bunteres Bild vermitteln die "Weibskleider". Frauen haben zu allen Zeiten meist mehr Wert auf ihre Garderobe gelegt als Männer. Aus mancher Inventur und Teilung kann man mit ein bißchen Phantasie das Bild einer geschmackvoll gekleideten Frau erahnen. Frauenkleiderlisten sind reichhaltiger und weitaus schwerer auszuwerten als die von Männern. Bis etwa 1820 läßt sich in den Quellen hauptsächlich nur die Zahl der Kleidungsstücke feststellen, die einer Frau gehörten. Wie bei den Aufzeichnungen des männlichen Besitzes fehlen die genauen Beschriebe. Ebenfalls problematisch ist die Errechnung eines Durchschnittspreises für die einzelnen Kleidungsstücke: Man müsste hierzu für jede Stoffart und jedes Kleiderteil eine eigene Durchschnittsberechnung erstellen, weshalb hier auf Wertangaben verzichtet wird.
Metzgermeistersfrau aus Althausen

Unbekannter Meister:
Metzgermeister Ehepaar aus Altshausen, ca. 1840-1850. Sie schmückt eine Radhaube, eine Schnippenjacke und ein Mailänder Seidentuch.

Zur Grundausstattung einer Frau gehörten drei bis fünf Röcke, drei Jacken, fünf Schürzen, zwei Leible, zwei Halstücher, zwei Taschentücher, sechs bis zwölf Hemden, drei Paar Strümpfe und zwei Paar Schuhe; zwei bis drei Hauben standen als Kopfbedeckung zur Auswahl. Das teuerste Kleidungsstück ist der Rock, und fast jede Frau besaß einen schwarzen Tuchrock. Die "Betuchten" leisteten sich schon mal einen seidenen, halbseidenen oder zitzernen 29 Rock. Schwarzer Rock aus Tuch oder Seide mit dazugehöriger Jacke, auch "Schober" oder "Kursett" genannt, eine schwarzseidene oder schwarztaftene Schürze, ein schwarzseidenes Halstuch und eine mit Goldborten verzierte Haube galten als teuerstes Gewand. Nun darf nicht der Eindruck entstehen, daß alle Frauen an Festtagen tiefschwarz gekleidet erschienen, denn längst nicht sämtliche Kleiderlisten enthalten die eben aufgeführten Stücke. Röcke und Jacken waren im allgemeinen einfarbig oder buntgemustert. Öfters werden Rock und Jacke aus gleichem Stoff und Muster genannt, wohl Vorläufer des heutigen Kostüms. An kalten Tagen schützte der wärmere Flanellstoff, "Biber" genannt. In allen Farben gibt es den zeugenen Rock, ein leichtes Gewirke aus Leinwand, Seide, Baumwolle oder Wolle mit halber Walke 30 . Barchent 31 und Kattun 32 wurden zur Arbeit getragen. Sehr beliebt war der Pers, ein feiner, leichter Baumwollstoff in vielen Farben und mit bunten Mustern. Diese Bezeichnung kommt nur in Oberschwaben vor. Der Modestoff am Ende des 18. Jhs., der Musselin, findet ab 1820 ebenfalls Verwendung bei den Frauen in und um Altshausen. Zur Schmutzarbeit wurden der grobe Leinenrock oder ein hänfernes Sackleinen angezogen.
Die Mechanisierung der Textilverarbeitung ermöglichte eine raschere und daher auch preisgünstigere Herstellung von Mischgeweben aus Seide, Wolle, Leinen und Baumwolle. Besonders die Baumwollstoffe wurden sehr beliebt. Sie waren nicht nur angenehm zu tragen, sondern auch pflegeleicht und preislich erschwinglich. Eine Vielzahl von Farben und Mustern ermöglichte den Frauen, sich individueller zu kleiden. Außer den üblichen Grundfarben bei den leichteren Stoffen bestimmten vielerlei Muster das Bild wie Streifen in allen Farbnuancen und geblümelte, getupfte, karierte, gewürfelte oder geflammte Dekors. Manchmal wußte der Schreiber nicht recht, wie er das Muster nennen sollte, und so wird "gestrichelt" oder "gegätterlet" 33 vermerkt. Alle diese Stoffarten und Dekors finden sich bei Jacken, Schürzen und Halstüchern wieder.
Zum Rock gehörte die Jacke; unter dieser Bezeichnung erscheint sie allerdings nie. Schober, Mutze, Spenzer 34 , Wams und Kittel sind die üblichen Namen 35 . Gelegentlich besaß eine Frau auch mal einen Pelzschober, aber das war schon ein Luxusartikel. Immer wieder fand sich die Bezeichnung "Korsett", oft aus der gleichen Stoffart und demselben Muster wie der Rock. Es konnte sich kaum um eine Art Schnürleib handeln, der ja als Unterkleidung getragen wurde. Der bekannte Arzt und Volkskundler Dr. Michel Buck (1832-1888) aus Ertingen beschreibt ein solches Kleidungsstück: "auch das Mädchen legt das alte Pauschmieder mit dem steifen Vortuche ab (...), kleidet sich im bunten Pers in kurzleibigen Kursetten (Wamms) mit gewaltig aufgebauschten Ärmeln" 36 .
Müllersfrau

M. Kern (1801-1852):
Müllersfrau. Sie trägt eine Haube mit schewarzer Spitze und Schleife, ein Halsnuster, dazu ein gemustertes Seidentuch, ebenfalls mit Kette.

Zur Arbeit wurden Leible oder Röcke mit angeschnittenem Leible getragen, was sich dann der "Leiblesrock" nannte. Die Leible waren meist einfarbig, wobei blau und rot bevorzugt wurden. Bei den Schürzen ergibt sich wieder eine große Variationsbreite von Material und Muster. Der Schurz galt bis vor kurzem noch als wichtiges Kleidungsstück. So gab es für jeden Anlaß einen speziellen Schurz: vom gestickten Sonntagsschurz bis zum Schaffschurz und dem mir noch geläufigen Schulerschurz. Naturgemäß wurden für die Schürzen leichtere Stoffe verwendet: Die weiße Musselinschürze, gelegentlich bestickt, war der große Renner. Wer ein bißchen mehr Geld hatte, leistete sich eine rote, schwarze oder gestreifte Seidenschürze. Mit dem Schurz konnte man auch "Staat" machen, wenn er aus Damast, Taft, Schillertaft, Seide oder Krepp war.
Neben der Schürze zählte das Halstuch zum besonders beliebten Zierstück. Fast jede Frau hatte außer dem schwarzseidenen noch vier bis fünf andere Halstücher. Sie waren beinahe immer aus Seide oder Halbseide, in leuchtenden Farben, mit geflammten Mustern an den Rändern. Und wenn es dazu reichte, wurden die Ränder mit Gold- und Silberspitzen gesäumt, auch Borten und Fransen waren rundherum genäht. Gern getragen wurden Tücher, die einen gemusterten "Rahmen" hatten. Das heute bei den Trachtengruppen so beliebte Mailänder Seidentuch wird nur sehr selten verzeichnet. Ab 1830 tauchen gelegentlich wollene Umschlagtücher auf.
Mieder werden in den Listen recht spärlich aufgeführt, die meist rot oder grün sind; der Anteil der schwarzen Mieder liegt unter 1 %. An Materialien wurde Tuch, Manchester, Seide, Samt oder Damast verwendet. Die Schnürmieder oder Übermieder waren wohl mit einem Lederband zusammengehalten, denn silberne Miederhaken oder Schnürketten habe ich kein einziges Mal gefunden. Das Mieder ist der deutlichste Hinweis auf eine Veränderung des modischen Erscheinungsbildes. Um 1810 finden sich noch neue Mieder in den Aussteuerlisten, ab 1820 tauchen sie kaum mehr auf. Ab 1825 gibt es dann nur noch Mieder, die 10 Kreuzer wert sind, und um 1835 sind sie völlig aus den Inventuren verschwunden. Gleichzeitig mit dem Mieder verschwand auch der Goller.
An Unterwäsche gab es als Tag- und Nachtgewand das Hemd. In der Aussteuer waren es meist zwölf Stück in verschiedener Qualität. Manchmal hatten die Frauen ein Hemd, das aus einem "Unterstock" aus groberem Leinen mit Ärmeln aus feiner Leinwand bestand. Unterhosen haben sich nur zwei Paar gefunden und das bei "besseren" Frauen. Dazu wurde einige Male das "Schmies" genannt, eine Bezeichnung, die vom französischen chemisette 37 abgeleitet ist. Bei Nastüchern, Handschuhen, Strümpfen und Schuhen gibt es wenige Unterschiede zur Männerkleidung, zudem sind über Schuhe und Strümpfe lediglich pauschale Angaben zu finden.
Das auffälligste Accessoire der damaligen weiblichen Mode waren die Hauben. Bei der Heirat kam die Frau bekanntlich "unter die Haube". Leider findet sich in den Inventuren nur selten eine Angabe über deren Machart. Die Schreiber notieren einfach: eine schwarze Kappe, eine Bändelkappe, eine Schnürhaube mit goldenem Boden, Haube mit Gold- oder Silberborten. Welche Formen diese Hauben hatten, ist diesen Aufzeichnungen nicht zu entnehmen. Hier müßten Bilder weiterhelfen. Die Radhaube kommt vor 1835 nicht vor. Die meisten Frauen hatten eine Gold- oder Silberhaube von oft beachtlichem Wert. Das teuerste Stück meiner Untersuchung kostete 24 Gulden - immerhin den Jahreslohn einer Magd. Die Rückseite der Haube hatte ein "Bödele", das aus einer Gold- oder Silberstickerei auf Samt, mit Verzierungen aus bunten Perlen und Flitter bestand. An das Bödele wurden auf einem leichten Metallrad Gold- und Silberspitzen kranzförmig angenäht. Schwarze und farbige Bänder vervollständigten das Prachtstück. Die Alltagshaube war eine kleine schwarze Kappe mit Bindebändern, wovon jede Frau drei bis vier Stück besaß. Um 1845 werden die Hauben in den Listen seltener, und in den wenigen detaillierten Inventuren zwischen 1850 und 1860 sind sie völlig verschwunden. Strohhüte tauchen vereinzelt auf. Pro Dorf erscheint ein grüner Hut auf den Listen. Um 1840 herum werden zusammen mit den Schlafkitteln die ersten Schlafhauben erwähnt, die meist von vermögenderen Besitzerinnen getragen wurden.
Schmuck hat Seltenheitswert. Wer es sich leisten konnte, hatte einen silbernen Rosenkranz, der in die Brautausstattung gehörte, ebenfalls ein Korallenhalskettle, "Nuster" genannt, eine Halskette aus Granaten, ein goldenes Kettle mit einem "Halshenker" (Anhänger) oder einem Kreuzle daran, eine silberne Haarnadel und manchmal ein goldenes Fingerringle. Ohrringe und einfache Fingerringe waren recht beliebt. Die meisten Frauen hatten mehrere Betnuster aus Silber und anderen Metallen. Über mehr Schmuck verfügten nur die wenigen reichen Frauen.

Kleider machen Leute - die modischen Vorbilder

Beim Vergleich der Inventur- und Teilungsakten fällt die Gleichmäßigkeit des Kleiderbestandes in den Umlandgemeinden Altshausens auf. Anders verhält es sich mit Altshausen selbst. Am Sitz der Deutschordenskommende hatten sich Kleinhandwerker und Handelsleute angesiedelt. Außerdem gab es einen Arzt, eine Apotheke und eine Poststation im Ort. Deutscher Orden und später das Haus Württemberg geboten über einen kleinen Beamtenstab und Dienerschaft, deren Kleidung modischer orientiert und reicher ausgeführt war. Da Altshausen an einer Durchgangsstraße lag und viele Reisende in unterschiedlicher Kleidung zu sehen waren, erhielt man hier eher modische Anregungen als in abseits gelegenen Dörfern. Durchreisende waren sicher interessante Studienobjekte in bezug auf ihre Garderobe, und mancher Mann dürfte von der Geschäftsreise seiner Eheliebsten ein modisches Geschenk mitgebracht haben.
Auch kursierten in Altshausen französische Modehefte, wie aus der Inventur eines älteren Fräuleins zu entnehmen ist. Vorbilder für vermögendere Damen waren die weitverbreiteten Modeblätter wie "Die Allgemeine Moden-Zeitung". Nicht vergessen seien die oft unterschätzten Möglichkeiten, im Laden des eigenen Ortes einzukaufen, wo ein beachtliches Warensortiment aus modischen Textilien und vielen Kurzwaren in Form von Spitzen, Bändern, Perlen und Knöpfen auf Kundinnen wartete. Markt und fliegende Händler, vor allem Hausierjuden, trugen ebenfalls dazu bei, das Angebot zu bereichern. Kurzum, wer Geld und Mut besaß, konnte sich topmodisch kleiden. Auf dem Land setzte sich allerdings die französische Hemdmode nicht durch, denn sie taugte einfach nicht zur Arbeit. Zu allen Zeiten spielte die Eitelkeit eine wichtige Rolle in der Kleidung, und auch die ärmeren Schichten wollten modisch ein wenig mithalten: Den weniger betuchten Frauen blieb immer noch die Möglichkeit, einen weißen Musselinschurz oder ein hübsch gemustertes Seidentüchle zu erstehen; die Männer trugen gern eine gemusterte Seidenweste. Mit dieser Untersuchung sollte der Kleiderkasten unserer Vorfahren ein wenig geöffnet werden. Dennoch bleiben zahlreiche Fragen unbeantwortet. Kann diese Quellenanalyse definitive Aussagen über die "Tracht" unseres Raums machen? Wenn unter Tracht das verstanden wird, was die Leute üblicherweise getragen haben, dann sind Inventuren und Teilungen hierfür eine wichtige Informationsquelle. Wird unter Tracht aber die Standeskleidung mit Unterscheidungen für Bürger und Bauern, Stadt und Land oder gar als die Tracht eines Dorfes verstanden, so muß dies verneint werden. Bei all meinen Untersuchungen der Inventur- und Teilungsakten sowohl im Raum Altshausen als auch im Allgäu ergeben sich keinerlei Hinweise auf eine eigentliche oberschwäbische oder Allgäuer Tracht. Die ausschließlich an einem Ort getragene einheitliche Kleidung hat es hier nie gegeben. Vielmehr wurde angezogen, was man sich leisten konnte, der Markt anbot und Mode war. So ergibt sich ein buntes Gemisch von alten und neuen, nebeneinander verwendeten Kleidungsstücken. Spuren, die auf so etwas wie "Trachtenstolz" hinweisen, fand ich nicht. Leider ist keine Alltagsgarderobe erhalten geblieben, denn sie wurde aufgetragen und damit verbraucht. Hingegen wurden kostbare Stücke wie Goldhauben, Seidentücher und Festtagsschürzen, gestickte Mieder und Goller vereinzelt aufbewahrt. Wenn man sie auch nicht mehr benötigte, so "hats ein greut" zum Wegwerfen. Ob man jedoch die gefundene Haube mit dem Mieder, das dabeilag, auch zusammen anhatte, können wir kaum mehr feststellen, zumal wir die Wege nicht kennen, die diese Stücke bis in unsere Tage genommen haben. Hier könnten eigentlich Bildquellen weiterhelfen, wobei die Porträts uns aber zumeist keine Hosen und nur selten Mieder und Schürzen zeigen.
Im Zuge einer Nostalgie- und Folklorewelle, aber auch einer ernsthaften Rückbesinnung auf unsere Heimatgeschichte, sind viele Trachtengruppen ins Leben gerufen worden. Da jedoch auf früheren Darstellungen in der Regel nur die Festtagskleidung gezeigt wird, herrscht das Bild von gutgekleideten und vermögenden Leuten vor, was die tatsächliche soziale Situation des größten Teils der Bevölkerung verzerrt wiedergibt. "Trachtentragen kommt neuerdings wieder in Mode. Trachtengruppen wollen die Tracht unserer Voreltern pflegen und erhalten (...). Es steht aber zu befürchten, daß das Ergebnis solcher an sich erfreulicher Bemühungen keineswegs mehr Wissen um die einstigen Trachten, sondern ein phantasievolles Mischmasch sein wird." 38

Anmerkungen

1 Frau Dr. Irene Pill-Rademacher, Kreisarchiv Ravensburg, und Herrn Dr. Gustav Schöck, Landesstelle für Volkskunde in Stuttgart, danke ich sehr für ihre freundliche Unterstützung. zurück
2 Archive der Gemeinden des Verwaltungsverbandes Altshausen: Altshausen, Boms, Ebenweiler, Ebersbach-Musbach, Eichstegen, Fleischwangen, Guggenhausen, Hoßkirch, Königseggwald, Riedhausen, Unterwaldhausen und Geigelbach. Die Gemeinde Geigelbach ist 1967 in der Gemeinde Ebersbach-Musbach aufgegangen. Die Akten der seit 1970 zu Hoßkirch gehörenden Gemeinde Hüttenreute wurden beim Abbruch des Rathauses vernichtet. Ebenso ausgewertet wurden die Unterlagen der Gemeindearchive Christazhofen, Deuchelried, Eggenreute, Göttlishofen, Leupolz, Niederwangen und Pfärrich sowie der Stadtarchive Isny und Wangen. zurück
3 Corpus Iuris Germanici, Jena 1844. zurück
4 Kostbares Wollengarn. Alle Stoffbezeichnungen nach Max Heiden: Handwörterbuch der Textilkunde aller Zeiten und Völker für Studierende, Fabrikanten, Kaufleute, Sammler und Zeichner der Gewebe, Stickereien, Spitzen, Teppiche und dergleichen sowie für Schule und Haus, Stuttgart 1904. zurück
5 Scarlatin und Karmesin: wohl Bezeichnung für rote Stoffe. zurück
6 Textile Maschenware, die aus einem oder mehreren Fadensystemen besteht. zurück
7 Miederschnüre. zurück
8 Leichter Stoff aus Baumwolle, Wolle, Seide oder Leinwand. Diese Stoffbezeichnung kommt häufig vor und ist nicht genau abzugrenzen. zurück
9 Doppelfädiges Leinengewebe mit Mustern. zurück
10 Kleiderordnung für das Gebiet des Deutschen Ordens der Ballei Elsaß-Burgund vom 20. 12. 1725. In heutiges Deutsch übertragen von M. Lindemann. zurück
11 Das Goller (von französisch le col = der Kragen) ist ein passenartiger Schulterkragen mit Brustlatz und wird über dem Mieder getragen. zurück
12 Ratsprotokolle der Stadt Wangen, 1740 -1752, Bl. 366. zurück
13 Ulrike Höflein: Vom Umgang mit der ländlichen Tracht, Frankfurt 1988, [S. 15]. zurück
14 Für Altwürttemberg existieren mehrere ausführliche Untersuchungen der Inventur- und Teilungsakten, z. B. Angelika Bischoff-Luithlen: Der Schwabe und sein Häs, Stuttgart 1982, oder die Untersuchung von Ernst Guther: Die ländlich heidenheimische Tracht in ihrer Endphase. Untersucht anhand der Inventuren der Gemeinde Gerstetten und vorhandener Bilddokumente, Jahrbuch 1987/88 (Heimat- und Altertumsverein Heidenheim an der Brenz e. V.),S. 248 ff. In Oberschwaben sind lediglich kleinere Arbeiten über Zußdorf und Beuren bei Isny durch Hermann Dettmer (Trachtenerneuerung und Kleiderforschung im Landkreis Ravensburg, masch. Manuskript) sowie von einzelnen Mühlen und großen Höfen durch Karl Friedrich Eisele (Fischerhaus, Haus Lauben und Haus Füssinger, in: Wolfegger Blätter, Heft 1, 1984, S. 5 ff., hier vor allem S. 31) publiziert. zurück
15 Gemeinderäte. zurück
16 Gemeindearchiv Altshausen, Inventur und Teilung von 1809. zurück
17 Ein sehr grobes Leinengewebe. zurück
18 Ein mittlerer bis schwerer Wollstoff. zurück
19 Ein beidseitig stark aufgerauhtes Tuch, meist aus Baumwolle. Freundliche Auskunft von E. Guther. zurück
20 Ein leichtes wolliges Gewebe. zurück
21 Freundliche Auskunft von E. Guther zurück
22 Dieser Begriff konnte noch nicht geklärt werden. zurück
23 Von französisch camisole = Unterjacke. zurück
24 Ein Kordstoff, insbesondere in Manchester fabriziert. zurück
25 Ein leinwandartig hergestelltes festes Baumwollgewebe. Der Name kommt von der chinesischen Stadt Nanking. zurück
26 Bezeichnungen für verschiedene Leinenqualitäten: fein, mittel und grob. zurück
27 General Suwarow kämpfte unter anderem gegen Napoleon. Der Suwarowstiefel ist ein leichter Infanteriestiefel. zurück
28 Wahrscheinlich vom Französischen la botte = Schaftstiefel bzw. la bosse = Buckel, Erhebung, auch Arbeitstier. zurück
29 Von Zinz = Chintz, ein feiner bedruckter Baumwollstoff. zurück
30 Ein Vorgang des Verfilzens. zurück
31 Mischgewebe aus Leinen und Baumwolle. zurück
32 Baumwolle. zurück
33 Für gegitterte, gekreuzte Muster. zurück
34 Leinene Jacke; der Name kommt vom englischen Lord Spencer. zurück
35 Die aus altwürttembergischen Inventuren bekannten Namen wie Armbüble, Büble, Peter und Steiner wurden in Oberschwaben nicht verwendet. zurück
36 Michel R. Buck:Der Bussen und seine Umgebung, Sigmaringen 1868, S. 37. zurück
37 Hier für leichter Kragen. zurück
38 Ernst Guther, S. 248. zurück

Bildnachweis

Landratsamt Ravensburg; Foto: Dieter Franke, Friedrichshafen. Kupferstichkabinett - Sammlung der Zeichnungen und Druckgraphik. Staatliche Museen zu Berlin - Preußischer Kulturbesitz. Inventarnummer: Boldt SZ 3. Lothar Zier, Königseggwald., Johannes Volz, Weingarten, Trachtenmuseum Pfullingen
 
Alle Repros: Biberacher Verlagsdruckerei
 
Mit freundlicher Genehmigung aus:
 
Im Oberland 1999, Heft 2, Herausgegeben vom Landkreis Ravensburg, Friedenstraße 6, 88212 Ravensburg

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