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Die Bauerntracht der
evangelischen Schwäbischen Alb

von Stephan Zielke


„Oser Häs isch wie osere Landschaft ond wie s’Leaba auf dr Alb – schlicht, herb, aber schön!“
Diese Worte stammen von einem betagten Albbauern, dessen Mutter zeitlebens Tracht trug. In der Tat handelt es sich bei der Tracht der Schwäbischen Alb um eine sehr schlichte Tracht – vergleicht man sie etwa mit den aufwändig gestalteten Trachten des Schaumburger Landes in Niedersachsen oder den Schwälmer Trachten in Oberhessen. Und gerade in ihrer Schlichtheit wirkt sie auf den interessierten Betrachter ansprechend und „schön“.
Nachfolgend wird die Bauerntracht des evangelischen Teils des „Schwabengebirges“ von verschiedenen Standpunkten aus beleuchtet. Der Artikel soll damit zum besseren Verständnis der im Alltag nahezu ausgestorbenen Frauentracht der Schwäbischen Alb beitragen.

Kleiderordnungen und Modeeinflüsse!

Wie das für alle Trachten gilt, ist auch die Tracht der Schwäbischen Alb keine reine Erfindung der dort lebenden Bauern, sondern hat in erster Linie modische Vorbilder.
Trachten nahmen schon immer europäische Modeentwicklungen auf und integrierten sie in die Bauerntracht. Das führte dazu, dass sich bäuerliche Trachten im Laufe der Jahrhunderte immer wieder veränderten. Modische Elemente wurden aufgenommen, oft über Jahrhunderte beibehalten, dann wieder abgelegt oder durch neue Modetrends ergänzt. So finden sich in Trachten oft Kleidungsstücke verschiedener Epochen nebeneinander. Tracht stellt also oft ein Sammelsurium modischer Entwicklungen mehrerer Jahrhunderte und Epochen dar.
Allerdings konnten die Bauern bis zum ausgehenden 18. Jahrhundert keineswegs anziehen was sie wollten. Bestandteile der Tracht, Material und Farben wurden von der Obrigkeit in sogenannten „Kleiderordnungen“ vorgegeben. Etwaige Übertretungen konnten bestraft werden.
Die „Kleiderordnungen“ sollten die Ständegesellschaft aufrecht erhalten. Ziel war, an der Kleidung den Stand der Person zu erkennen, also Abgrenzung zu schaffen. Den Landesherren war es außerdem wichtig, die Konjunktur im eigenen Land zu fördern. Deshalb war es dem „untersten (bäuerlichen) Stand“ eigentlich nur erlaubt, Materialien und Textilien zu tragen die im eigenen Land fabriziert, produziert und verarbeitet wurden. Die Verwendung edler Textilien wie Samt und Seide war nur den oberen Ständen vorbehalten.
Ausgelöst durch die Französische Revolution 1789 und das dadurch erstarkte Bürgertum, wurden die obrigkeitlichen Kleiderordnungen abgeschafft. Im 19. Jahrhundert wurden zudem in Europa im Zuge der industriellen Revolution hochwertige Stoffe wie Samt und Seide als Massenware hergestellt. Diese Entwicklungen ermöglichten den Bauern, die einst verbotenen, edlen Stoffe in die Tracht zu integrieren. Die einst schlichten Bauerntrachten entwickelten sich im Laufe des 19. Jahrhunderts deshalb zu aufwändig gestalteten, hochwertigen Bekleidungen, deren Verzierungs- und Prunksucht oft bis zur Grenze des Machbaren ging.
Die für den Untergang der Bauerntrachten oft genannte Industrialisierung kann also nicht allein für deren „Aussterben“ herhalten, vielmehr waren es die industriellen Möglichkeiten, die die Tracht, wie wir sie heute kennen, hervorgebracht haben. Der Abgang der Tracht im Alltag ist vor allem durch gesellschaftliche und wirtschaftliche Veränderungen im 19. und 20. Jahrhundert bedingt.
Die Tracht der Schwäbischen Alb nahm ebenfalls immer wieder Vorbilder abendländischer Modetrends auf und integrierte vor allem im 19. und 20. Jahrhundert hochwertige industriell gefertigte Stoffe (z. B. Seidenschürzen, Samtjacken, Moirébänder). Noch zu Beginn des 19. Jahrhunderts war der Oberkörper der Albbäuerin durch Goller, Schnürmieder und Bruststecker verhüllt, deren modische Vorbilder der Mode der Renaissance (16. Jahrhundert) entstammen und die bis ins 19. Jahrhundert auch in den anderen Trachtengebieten Württembergs getragen wurden. Erst im Lauf des 19. Jahrhunderts ersetzte das praktischere Samtleibchen diese Trachtenteile.
Auch der bis heute auf der Alb getragene „Jacken“ mit dem „Puff“ an der Schulter, wurde erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts von der Albtracht übernommen und stammt aus der um diese Zeit in Europa üblichen bürgerlichen Mode. Der Vorgänger des „Jacken“ war auf der „Ulmer Alb“ der sogenannte „Kittel“, der am Oberarm gesmokt war.

„Bauranähere“ und „Brautnähere“
Der oft zitierte Satz „Selbst gesponnen, selbst gemacht – das ist echte Bauerntracht“, kann als Legende bezeichnet werden. Angefertigt wurde die Tracht und deren Bestandteile vor allem von der „Bauranähere“. Jedes Dorf hatte zumindest eine Frau, die sich auf dieses Handwerk spezialisiert hatte. Es waren ärmere Frauen, die als Tagelöhnerinnen in der Landwirtschaft tätig waren und sich zum Überleben ein Zubrot als „Bauranähere“ verdienten.
Hatte eine Bäuerin einen Trachtenstoff gekauft, wurde die „Bauranähere“ ins Haus der Auftraggeberin gerufen. Die „Bauranähere“ nahm Maß und nähte in Handarbeit und mit Hilfe der handbetriebenen Nähmaschine das gewünschte Kleidungsstück. Die genähten Trachtenstücke wurden von der „Bauranähere“ wieder ins Haus der Auftraggeberin geliefert. Ging es um die Aussteuer für junge Frauen, fertigte sie neben Jacken, Hemden und Schürzen sämtliche Röcke der Trachtenträgerin und zwar in einem Umfang, der möglichst das ganze Leben ausreichte. Die Mädchen und Frauen „schonten“ deshalb ihre Tracht, wussten sie doch, dass ihr „Baurahäs“ sie „aushalten“ musste. Kam es zur Hochzeit, nähte die „Bauranähere“ das „Hochzeitshäs“. Sie zog die Braut am Tag der Hochzeit an und war als sogenannte „Brautnähere“ zur Hochzeit geladen, bei der sie kleine Blumenanstecker an die Hochzeitsgäste verkaufte. Diese kleinen Blumensträußle wurden von ihr an die Jacken der Gäste geheftet.
Verdient hat an der Tracht vor allem die Industrie. Die Trachtenstoffe waren für damalige Verhältnisse sehr teuer. Man konnte sie von ins Dorf kommenden Händlern kaufen oder in Ulm in Textilgeschäften, die sich auf Trachtenstoffe spezialisiert hatten.
Die „Bauranähere“ bekam für die zeitintensive Verarbeitung der Trachtenstücke nur ein sehr geringes Entgelt. Innerhalb der dörflichen Hierarchie der bäuerlichen Ständegesellschaft gehörte sie zu den Ärmeren des Dorfes. Sie war aber im Dorf aufgrund ihres Wissen über die Tracht und ihres Könnens bei der Anfertigung unentbehrlich und wurde deshalb oft mehr geschätzt als andere Tagelöhner.
Die Bestandteile der Tracht
Eine genaue Beschreibung der Albtracht ist aufgrund der Fülle an Details hier nicht möglich. Nachfolgend wird die Tracht, wie sie in ihrem Endstadium seit Ende des 19./Anfang des 20. Jahrhunderts bis zu ihrem Aussterben Anfang des 21. Jahrhunderts getragen wurde, kurz vorgestellt, und zwar der Aufbau der Tracht für bessere Anlässe (Sonntag, Festtag, kirchliche Anlässe).1. Der Rock:
Der „Rock“ besteht i. d. R. aus drei Bahnen. Das Material ist „Tuch“. Oberhalb des Rocksaums ist ein Samtbesatz, der sogenannte „Sahmet“ angebracht. Der Rockstoff ist klein- oder großkariert, man spricht vom „kloi- oder graußtafleten Rock“. Daneben gibt es noch „schwarze Röcke“. Der Rock am Ende der Trauerzeit war braun-schwarz kleinkariert und wurde als „brauner Rock“ bezeichnet. An der rechten vorderen Rocknaht befindet sich eine aus Leinwand gefertigte Tasche die man als „Rocksack“ bezeichnet und die so groß ist, dass ein Pfünder-Brot hineinpasst. Zum „Rock“ wurde generell ein Unterrock getragen, den man als „Kutt“ bezeichnet. Das kleinkarierte Muster der „Kutt“ nennt man „gstoinlet“.
2. Das Leibchen:
Das ärmellose „Leible“ verhüllt den gesamten Oberkörper und wird mit Haften und Haken geschlossen. Es besteht aus geblümtem schwarzem Samt. Die Blümchen sind entweder auf den Samt gedruckt oder gestickt. Man spricht deshalb vom „druckta“ oder „gnähta Leible“. Das Futter besteht aus „eigenem Tuch“, d. h. selbstgesponnener und –gewobener Leinwand. Das „Leible“ ist mit dem Rock durch eine Naht verbunden. Das am Unterrock befindliche „Leible“ bezeichnet man als „Kuttaleible“.
3. Das Hemd:
Das knielange „Hemed“ ist aus Leinwand angefertigt, wobei das „Goller“ und die mit Spitzeneinsätzen versehenen Ärmel meist aus Baumwolle sind.
4. Die Jacke:
Der „Jacka“ bzw. das „Jäckle“ besteht zumeist aus schwarzem Wollatlas, Kammgarnstoff, Seide oder Samt. Es hat an der Schulter einen „Puff“. An der Jacke finden sich Abnäher und schwarze Spitzenbesätze, die als „Ausputz“ bezeichnet werden. Der „Jacka“ wird stets geschlossen getragen.
5. Die Schürze:
Der „Schurz“ zeigt i. a. R. auf schwarzem Grund schwarze, weiße, blaue oder braune Blümchen und wird deshalb je nach Farbe als „schwarz-, weiß-, blau- oder braunseidener Schuz“ bezeichnet. Daneben gibt es auch noch eine metallisch glänzende Schürze, die man als „blechernen Schuz“ bezeichnet. Am Schürzenbund, im unteren Drittel der Schürze und am Saum der Schürze ist als „Ausputz“ eine schwarze Spitze angebracht.
Geschlossen wird die Schürze mit der aus Seide oder Samt gefertigten „Schuzmasch“. Werktags wird eine blaue, weiß gestreifte Zeugleschürze getragen, die man als „Scheckaschuz“ bezeichnet.
6. Die Haube:
Die „Kirchahaub“ wird nur zum Kirchgang getragen und besteht aus schwarzen Moirébändern. Die Haube wird unter dem Kinn mit zwei Moirébändern zu einer Schlaufe gebunden. Zwei weitere Bänder fallen vom Haubenboden über den Rücken bis zum Rocksaum. Der Haubenboden ist mit Silberperlen, silbernen Sternen und anderen Motiven besetzt. Er ist aufgrund der Umrandung mit Moirébändern kaum zu sehen. Darin spiegelt sich die protestantische Haltung wider, möglichst schlicht und schmucklos erscheinen zu wollen und seine Schätze nicht zur Schau zu stellen. Unterhalb des Bodens sind aus Moirébänder zwei sogenannte „Rollen“ angebracht. Die Zacken am Rand der Moirébänder werden als „Zapfen“ bezeichnet. Die Moirébänder selber als „gwässerte Bänder“.
8. Das Kopftuch:
Das wollene Kopftuch wird als „Bod“ (Bod = Bund) bezeichnet. Es wird etwas eingeschlagen und so gebunden, dass ein Zipfel seitlich an den Wangen nach vorne steht. An dem am Rücken liegenden Zipfel befindet sich oft eine gestickte Blume und die Initialen der Trägerin.
9. Die Strümpfe:
Es werden schwarze selbstgestrickte knielange Wollstrümpfe getragen. Ledige trugen früher zu Festen weiße baumwollene Zwickelstrümpfe.
10. Der Schmuck:
Als „Schmuck“ werden vor allem goldene Broschen, goldene Ketten mit Anhänger und lange silberne Ketten mit Schieber getragen.Varianten der Tracht und Anlässe des Trachttragens
Die Tracht wurde vom Volksmund als „Baurahäs“ bezeichnet. Bereits Kinder trugen das „Baurahäs“, sobald sie „trocken“ waren. Allerdings hatten sie lediglich wenige Trachtenstücke und nur eine Sonntags- und eine Werktagstracht. Erst zur Einschulung erhielten sie das „Schulerhäs“, das ausschließlich zum Schulunterricht getragen wurde.
Die ersten besseren Trachten erhielten die Mädchen mit der Konfirmation, also dem Beginn der Erwachsenenzeit. Es war das „Konfirmationshäs“ und das „Festhäs“.
Bis zur Hochzeit wurde das in schwarz gehaltene „Konfirmationshäs“ ausschließlich zum Abendmahl an Weihnachten, Ostern und Pfingsten und von der Patin zur Taufe getragen.
Ab der Konfirmation wurde noch eine weitere schwarze Trachtenvariante getragen. Die schwarze Trauertracht, das sogenannte „Klagneshäs“. Zum „Klagneshäs“ wurde kein Schmuck getragen. Auf der Jacke und der Schürze befand sich nur ein minimaler „Ausputz“. Das „Klagneshäs“ trugen nahe Verwandte während der Trauer und die Gemeinde zur Beerdigung sowie am Totensonntag zum Gottesdienst und zu Verwandtschaftsbesuchen „über Feld“.
Am Ende der Trauerzeit wurde ein braun-schwarz kleinkarierter Rock, der „braune Rock“ angezogen. Diese Tracht wurde als „Häs zom aklagna“ (austrauern) getragen. Auch Nachbarn und gute Bekannte des Verstorbenen trugen diese Tracht, anstatt des „Klagneshäs“ der trauernden Verwandten, für mehrere Wochen. Am Buß- und Bettag wurde der „braune Rock“ von der Gemeinde zum Gottesdienst und nachmittags „über Feld“ getragen.
Das „Festhäs“ wurde zu Festen, Hochzeiten und zum Gottesdienst und Verwandtschaftsbesuchen „über Feld“ in Nachbardörfern an Weihnachten, Ostern und Pfingsten getragen. Zum „Festhäs“ gehörte ein ein blau-schwarz, violett-schwarz oder braun-dunkelblau „tafleter (großkarierter) Rock“ und der „weiß-, blau- oder braunseidene Schuz“ oder ein „blecherner Schuz“. An Festtagen und Hochzeiten trugen Mädchen und Frauen zum Kirchgang das „Festhäs“ immer mit der Jacke.
Mit 18 Jahren bekamen die Mädchen das „Musikhäs“. Das „Musikhäs“ ist eine Festtracht, die nur von Ledigen und Kinderlosen getragen werden durfte.
Sie entspricht dem „Festhäs“. Allerdings wurde die seidene Schürze durch eine mit Spitzeneinsätzen oder mit Durchbrucharbeiten versehene weiße Schürze ersetzt. Am Hals war ein Spitzenkragen, das „Krägle“, sichtbar. Wer Schmuck hatte, trug diesen vor allem zum „Musik- und Festhäs“. Die weiße Schürze galt als Zeichen der Jungfräulichkeit. Das reich mit Spitzeneinsätzen besetzte Hemd hieß „Musikhemed“.
Ledige Frauen, die den 40. Geburtstag überschritten hatten und bei denen keine Aussicht auf eine Heirat mehr bestand, zogen das „Musikhäs“ nicht mehr an. Zum „Musikhäs“ trug man keine Jacke, man ging im sogenannten „Weißem“ (hemdsärmelig). Das „Musikhäs“ durfte nie zum Kirchgang getragen werden. Vor allem an Hochzeiten kam das „Musikhäs“ beim Brauch des „Abendtanzes“ zur Geltung. Bei diesem Brauch zogen die ledigen Mädchen und Burschen des Dorfes ab dem späten Nachmittag von Wirtshaus zu Wirtshaus oder gingen zum Dorfplatz und tanzten dort zur Musik der Dorfkapelle Tänze wie Walzer, Polka und Rheinländer. Die Brautfräuleins trugen zum „Musikhäs“ einen grünen mit Kunstblumen und Schaumperlen besetzten Kranz.
Nach der Hochzeit durfte das „Musikhäs“ von den jungen Frauen nicht mehr getragen werden. Bei Festen trugen sie dann ausschließlich das „Festhäs“.
Am Hochzeitstag trug die Braut das schwarze „Hochzeitshäs“. Der grüne mit weißen Kunstblumen besetzte Kranz zeigte zum letzten Mal die Jungfräulichkeit an. Heiratete die Braut zum zweiten Mal oder hatte sie bereits ein uneheliches Kind, musste sie den jungfräulichen Kranz durch die schwarze Kirchenhaube ersetzen. Die Braut durfte am Hochzeitstag ihre Jacke nicht ausziehen, egal wie heiß es war. Nach der Hochzeit wurde das „Hochzeitshäs“ mit Kirchenhaube zum Abendmahl an Weihnachten, Ostern und Pfingsten, von der Patin zur Taufe und zur Hochzeit der eigenen Kinder getragen.
Vor allem der Sonntag bedeutete für die Frauen ein mehrmaliges Umziehen der Tracht, sie erinnern sich: „Am Sonndeg isch mr bloß am ei- ond ausschliafa gwä!“ (eischliafa = anziehen, ausschliafa = ausziehen).
Am Sonntagmorgen wurde zur Stallarbeit das „Stallhäs“, eine heruntergesetzte Arbeitstracht, angezogen.
Danach wusch man sich und zog zum Gottesdienst das „Kirchahäs“ (Kirchentracht) an. Zum „Kirchahäs“ wurde früher generell die Kirchenhaube und immer der „Jacka“ getragen. Nach dem Kirchgang wurde das „Werdeghäs“ (Werktagstracht) angezogen, um das Mittagessen zuzubereiten. Besuchte man am Nachmittag Verwandte in Nachbardörfern, ging also „über Feld“, trug man das „Sonndeghäs“ (Sonntagstracht). Ansonsten wurde am Sonntagnachmittag zu Dorfspaziergängen oder Nachbarschaftsbesuchen eine heruntergesetzte Sonntagstracht getragen, die in manchen Albgemeinden als „Aubedhäs“ (Abendtracht) bezeichnet wurde. Abends zog man dann wieder zur Stallarbeit das „Stallhäs“ an.
Die Trachtenstücke des „Sonndeghäs“ wurden heruntergesetzt. War beispielsweise ein Rock für das „Kircha- und Sonndeghäs“ nicht mehr gut genug, taugte er immerhin noch zum „Aubedhäs“. Danach trug man ihn zum
„Werdeghäs“ und letztendlich zum „atraga“ (abtragen) als „Stallhäs“.
Die knappe Darstellung der Wechselformen der Albtracht zeigt, dass drei Komponenten beim Tragen einer Tracht eine wesentliche Rolle spielen (siehe auch letztes Kapitel):
– Arbeit in der Landwirtschaft und Bekennen zum Bauernstand: der bäuerliche Werktag
– Zurschaustellung des Standes und Besitzes: der Sonntag und der Festtag
– Christlicher Glaube und Religion: das Kirchenjahr (sonntäglicher Gottesdienst, Weihnachten, Ostern und Pfingsten) und die religiösen Schwellenrituale (Taufe, Konfirmation, Hochzeit, Beerdigung).


Von der Zeichensprache der Tracht
Die im vorhergehenden Kapitel beschriebenen Varianten der Albtracht für die jeweiligen Anlässe waren für alle Trachtenträgerinnen bindend. Ein Abweichen von den üblichen Kleidungssitten wäre undenkbar gewesen und hätte die Kritik der übrigen Dorfbewohner zur Folge gehabt.
Frau Emma Gebhardt (90 Jahre) aus Altheim berichtet, dass ihre Mutter einmal am Buß- und Bettag anstatt im damals für diesen Tag üblichen „braunen Rock“, also dem „Häs zom aklagna“, im dem für sonntägliche Gottesdienste üblichen „Kirchahäs“ zum Gottesdienst erschien. Dies blieb nicht unbeobachtet.... Als sie schlecht gestimmt vom Kirchgang zurückkam, sagte sie auf Nachfragen ihrer Tochter: „Mr hot mi agsprocha, worom i koin brauner Rock azoga han!“
Die Frauen wussten, was zum jeweiligen Anlass getragen werden musste. Die für die verschiedenen Anlässe vorgegebenen Zusammenstellungen und Varianten der Tracht gaben den Menschen Sicherheit und eine gewisse Geborgenheit. Die Zeichensprache der Kleidung verband die Dorfbewohner, denn die Frauen trugen annähernd alle die gleiche Kleidung zum jeweiligen Anlass, was die Integration innerhalb der „Dorfgemeinschaft“ bewirkte. Andererseits konnten die Trachtenträgerinnen ihrer Individualität nicht Rechnung tragen, denn ein Abweichen von den dörflichen Kleidungsgepflogenheiten wurde mit Diskriminierung und Ausgrenzung durch die anderen Dorfbewohner bestraft.
In den Dörfern wurde nicht nur, wie von „Träumern und Romantikern“ oft behauptet, eine heile Dorfgemeinschaft gelebt. Es bestand vielmehr eine dörfliche Hierarchie, die es einzuhalten galt. Reiche Roß- und Ochsenbauer wollten sich von Kuhbauern oder gar Tagelöhner unterschieden wissen.
Die Ärmeren waren auf die reichen Bauern angewiesen, benötigten sie doch das Einkommen als Tagelöhner, um überleben zu können.
Die in Europa im 19. Jahrhundert aufgelöste Ständegesellschaft bestand in abgeschwächter Form im Bauerntum noch bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts. Erst mit den radikalen Veränderungen in der Landwirtschaft in den letzten 50 Jahren verschwanden die Reste der Ständegesellschaft auch im ländlichen Raum.
Eine Möglichkeit, seinen Stand und sein Vermögen anzuzeigen, war die Kleidung bzw. die Tracht. Davon wurde in den Dörfern Gebrauch gemacht.
Die im 19. Jahrhundert abgegangenen Kleiderordnungen, die die Stände voneinander abgrenzte, bestanden bei der Bauerntracht in ungeschriebener und auch abgewandelter Form, aber mit demselben Ziel weiter. Diese „ungeschriebenen Gesetze“ hatten Bestand bis zum Aussterben der Bauerntracht im Alltag. Die Reichen des Dorfes wollten sich bewusst abgrenzen von den Ärmeren.
Auch die Albtracht zeigte Unterschiede zwischen Arm und Reich und bewirkte damit eben auch Abgrenzung und bewusste Distanzierung voneinander – bei aller Gleichheit, die im Aufbau der Tracht und den gemeinsam verstandenen Varianten für die verschiedenen Anlässe ausgedrückt war.
Die nachfolgend aufgeführten Beispiele verdeutlichen die Kleidungssprache in der sich Arme und Reiche zu unterscheiden wussten:
Teure Röcke bestanden aus schwerem Tuch und wurden als „Tuchröcke“ bezeichnet. Sie hatten ein Gewicht von mehreren Kilogramm und reichten fast bis zum Boden. Die Mädchen und Frauen aus reichen Bauersfamilien mussten deshalb bei schlechtem Wetter den Rock ein Stück hochnehmen, um ein Verschmutzen zu vermeiden. Ärmere trugen etwas kürzere Röcke aus leichterem, qualitativ nicht so hochwertigem Tuch.
Der Samtbesatz oberhalb des Rocksaums, als „Sahmet“ bezeichnet, war bei Reichen wesentlich breiter als bei den Armen des Dorfes. Der auf der linken Rockseite angebrachte Rockbesatz, der im Volksmund als „Blege“ bezeichnet wurde, richtete sich in der Breite nach dem „Sahmet“.
An der Konfirmation bekamen Töchter reicher Bauern einen „blometen (geblümten) Seidenjacken“, während die Mädchen aus ärmeren Familien lediglich Jacken aus Wollatlas erhielten.
Reiche Bauerstöchter trugen zum „Hochzeitshäs“ glatte schwarze „Seidenjacken“ aus reiner Seide. Arme mussten sich mit glatten Jacken aus Wollatlas begnügen.
Zur Festtracht trugen die Reichen „Sahmetjacken“, in denen man zwar im Sommer stark schwitzte, die man aber trotzdem mit Stolz trug und um die man von den ärmeren Trachtenträgerinnen sehr beneidet wurde.
Auch die an Schürze und Jacke angebrachten schwarzen Spitzen, der sogenannte „Ausputz“, gab Aufschluss über das Vermögen der Trägerin. Je breiter die Spitze und je umfangreicher der Besatz mit Spitzen, desto reicher die Trägerin.
Das am Rock angebrachte „Sahmetleible“ war wie bereits erwähnt geblümt. Die Blümchen waren bei der einfacheren kostengünstigeren Variante aufgedruckt, bei besserer Ausführung mit Seidenfäden aufgestickt, man sprach vom „druckta Leible“ bzw. vom „gnähta Leible“. Ärmere konnten sich allerdings nicht immer ein „gnähtes Leible“ leisten. Da aber zumindest zum „Festhäs“ eigentlich ein besticktes Leibchen gehörte, zogen Ärmere selbst im Hochsommer den „Jacken“ bei der Festtracht möglichst nicht aus, um den Schwindel nicht auffliegen zu lassen.
Auch beim Kirchgang wurde Besitz und Stand gezeigt. Die Breite der Moirébänder der „Kirchenhaube“ zeigte ebenfalls wer begütert war – je breiter das Band desto reicher die Trägerin.
Selbstverständlich galt auch damals schon „Schmuck“ als Zeichen des Reichtums. Wer es sich leisten konnte, zog zum „Fest- oder Musikhäs“ Broschen, goldene und silberne Ketten an. Je breiter die Silberkette, desto reicher die Trägerin. Arme verzichteten gänzlich auf Schmuck oder hatten nur schlichte vergoldete Broschen bzw. dezente Ketten.
Die größte Zurschaustellung wurde mit dem „Musikhäs“ betrieben. Töchter reicher Bauern sollten zeigen, aus welchen familiären Verhältnissen sie stammten. Das Vortäuschen eines genähten Samtleibes, wie es beim Festhäs bei Ärmeren üblich war, war hier nicht möglich, denn zum „Musikhäs“ wurde keine Jacke getragen. Das „Musikhemed“ und der „Musikschurz“ wurden je nach Vermögen über und über mit Spitzeneinsätzen versehen. Als Schmuck wurde getragen, was man hatte, also Brosche sowie Gold- und Silberkette, möglichst alles miteinander.
Beim „Musikhäs“ war Zurückhaltung nicht vorgesehen. Wer begütert war, der zeigte es bei dieser Tracht in vollem Umfang.
Doch auch regionale Unterschiede bestanden im Bezug auf das Vermögen der Trägerin. Die Bauern der „Hinteren Alb“ – Alb im Raum Laichingen - waren wesentlich ärmer als die reichen Bauern der „Ulmer Alb“.
„Sahmetjacken“ wurden auf der „Hinteren Alb“ nicht getragen. Der „Ausputz“ auf Jacken und Schürzen fiel geringer aus und die Spitzen waren oft schmäler.
Der „Sahmet“ (Rockband) und die „Blege“ waren auf der „Hinteren Alb“ wesentlich schmaler. Die Röcke waren oft nicht so lang wie auf der „Ulmer Alb“, somit konnte man Rockstoff sparen. Das gilt auch für die Schürze, denn je kürzer der Rock, desto weniger Schürzenstoff musste verwendet werden.
Eine Bäuerin aus Machtolsheim erzählte mir, dass sich manche Frauen der „Hinteren Alb“ schämten wenn sie auf der „Ulmer Alb“ unterwegs waren, denn man erkannte an ihrer einfacheren Tracht sofort, woher sie stammten und dass sie ärmer waren.
Reich zu sein bedeutete sein Leben lang im wahrsten Sinne des Wortes auch gewichtigere Kleidung zu tragen als dies bei Ärmeren üblich war. Nachdem die „Tuchröcke“ der Reichen aus schwerem Material waren und zudem fast bis Bodennähe reichten, also mehr Material verwendet wurde, waren die Röcke dadurch wesentlich schwerer als die qualitativ geringwertigeren und leichteren Röcke der Ärmeren.
Das gleiche gilt für den Unterrock, die sogenannte Kutte. Da es auch hier Unterschiede in der Stoffqualität gab, die ebenfalls das Gewicht des Unterrockes beeinflussten, trugen Mädchen und Frauen aus begüterten Familien buchstäblich schwerer. Dass man im „Sahmetjacken“ der Reichen mehr schwitzte als im geblümten „Seidenjacken“ wurde schon erwähnt.
Das spielte aber in den Augen der Dorfbewohner keine Rolle. Der Wille der Trachtenträgerinnen zur Unterscheidung zwischen Arm und Reich überwiegte und die Ärmeren beneideten die Reichen um ihre schönen Trachtenstücke. Tracht hat eben oft weniger mit Zweckmäßigkeit und Bequemlichkeit zu tun, sondern ist Ausdruck der Repräsentation, des Reichtums und der Würde.
Auch auf der Alb galt reich zu reich und arm zu arm. Deshalb heirateten Reiche vor allem Ihresgleichen und die Ärmeren blieben auch unter sich. Oft waren es keine Liebesheiraten.
Tracht bedeutete für ein Dorf oder eine Region eine eigene Zeichensprache. Die Sprache der Kleidung zeigt einen Anlass (z. B. Abendmahlsgottesdienst, Festtag, Hochzeit, Beerdigung, Werktag), deren Vermögen (arm oder reich) und oft den Stand der Trägerin (ledig oder verheiratet). Diese Sprache ist allerdings nur für ein Dorf oder eine bestimmte Region bestimmt. Nur wer mit dieser Sprache aufgewachsen ist, versteht sie. Zugezogene oder Durchreisende können sich die umfangreiche und oft komplizierte Sprache der Kleidung und deren Deutung kaum aneignen.
Der bäuerlichen Ständegesellschaft war bewusst, dass sie vor allem durch ihre Kleidung innerhalb der „Dorfgemeinschaft“ Gemeinsamkeit aber auch Abgrenzung signalisieren konnte. Tracht als Alltagskleidung im 21. Jahrhundert
Auch heute gibt es vereinzelt noch Trachtenträgerinnen auf der Schwäbischen Alb. In wenigen Jahren werden allerdings die letzten Trachtenträgerinnen verstorben sein.
Wer trägt im Alltag heute noch Tracht? Warum tragen diese Frauen Tracht? Was macht Tracht tragen aus?
Die oben beschriebenen Varianten der Albtracht geben zumindest im Ansatz eine Antwort darauf:
1.) Tracht trägt, wer Bäuerin ist, in der Landwirtschaft arbeitet und sich zum Bauernstand bekennt.
Hierfür steht das Werdeg- und das Stallhäs.
Nicht umsonst sprechen die Trägerinnen nicht von ihrer Tracht, sondern von ihrem „Baurahäs“. Alle Trachtenträgerinnen stammen nämlich aus Bauernfamilien oder Tagelöhnerfamilien mit Landwirtschaft im Nebenerwerb. Ihr Leben war ausgerichtet auf das bäuerliche Jahr, die Arbeit in der Landwirtschaft sowie im bäuerlichen Haushalt.
2.) Tracht tragen bedeutet seinen Stand und sein Vermögen/Besitz durch die Kleidung zu zeigen.
Hierfür steht das Musik-, das Fest- und das Sonndeghäs.
Vor allem an Sonn- und erst recht an Festtagen zeigten die Mädchen und Frauen den Stand ihrer Familie (reiche Roß- oder Ochsenbäuerin, Kuhbäuerin oder arme Tagelöhnerin) und ihren Besitz bzw. ihre Armut durch gewisse Details ihrer Tracht.
3.) Tracht bedeutet mit dem christlichen Glauben verbunden sein.
Hierfür steht das Kircha-, das Konfirmations-, das Hochzeits- aber auch das Klagneshäs.
Alle Trachtenträgerinnen wurden in Kindheit und Jugend im Sinne des Christentums erzogen. Gottesdienst am Sonntag, mehrfaches tägliches Beten, Taufe, Konfirmation sowie christliche Trauung und Beerdigung waren selbstverständlich. Tracht zeigt mit ihren Varianten für kirchliche Handlungen und Anlässe ein Überbleibsel des christlich geprägten Abendlandes, welches dem abendländischen Mittelalter entstammt. Die christliche Haltung spiegelt sich in der Tracht wider.
Tracht tragen bedeutet den Trachtenträgerin also mehr als nur schöne exotische Kleidung. Die oben aufgeführten Punkte wie bäuerliche Arbeit, Anzeigen des Standes und des Besitzes sowie christlicher Glaube sind die Eckpunkte die Trachttragen im Alltag ausmachen. Für diese Frauen ist ihre Tracht keine Verkleidung sondern Alltag. Wobei der Bezug bei den Trachtenträgerinnen zu ihrer Kleidung wesentlich enger ist als beim konsumorientierten Menschen des 20. und 21. Jahrhunderts, dessen Geschmack sich innerhalb weniger Jahre ändert und der in seinem Leben immer wieder erstaunt und fast entsetzt ist, wenn er ehemalige Kleidungsstücke von sich betrachtet: „Solche Klamotten habe ich mal gerne getragen – nein, kaum zu glauben, das ist so was von altmodisch! Weg damit in die Altkleidersammlung!“. Die Trachtenträgerinnen stellen das genaue Gegenteil dar. Ihre Erziehung war darauf ausgerichtet, möglichst das gesamte Leben die in die Aussteuer angeschaffte Kleidung zu tragen und diese noch so zu schonen, dass sie auch noch weitervererbt werden kann. So tragen die heute noch lebenden Trachtenträgerinnen auch Trachtenstücke, die sie von ihren Müttern geerbt haben. Die Frauen sind der Auffassung dass die „bäurische“ Tracht, im Gegensatz zur „herrischen“ Mode, nie unmodern wird und immer zeitgemäß ist. Es geht den Trachtenträgerinnen also nicht um immerwährenden Konsum, sondern um Erhalt ihrer in die Aussteuer angeschafften Kleidung. Das unterscheidet sie wesentlich vom Menschen unserer heutigen Gesellschaft, der kurzfristig denkt und der seine „Schale“ immer wieder erneuern möchte, denn Mode ändert sich schnell.
Bleibt zum Schluss die Frage, was Tracht tragen in Trachtenvereinen oder Volkstanzgruppen bedeutet? Fest steht: Die Tracht im Alltag hat heute keine Daseinsberechtigung mehr. Die bäuerliche Ständegesellschaft mit ihren Komponenten (Arbeit in der Landwirtschaft, Anzeigen des Vermögens, christlicher Glaube) existiert heute nicht mehr. Somit ist der Tracht ihre Grundlage entzogen, deshalb musste sie aussterben. Was wir heute unter Trachtenpflege und Brauchtum verstehen, ist ausschließlich Folklorismus und hat mit Tracht in ihrer ursprünglichen Bedeutung nicht mehr viel zu tun. Tracht tragen ist zu einer Möglichkeit der Freizeitbeschäftigung und des Freizeitvergnügens geworden. Ihre tiefe symbolische Bedeutung ist den meisten Trachtenträgern nicht bekannt, und oft fehlt auch der Anspruch sich damit auseinander zu setzen. Was Trachtenfeste und -umzüge darbieten wird daher dem, was Tracht bedeutet und aussagt, nicht gerecht. Vielmehr wird bei den Folkloreveranstaltungen meistens ein heiles Landleben vorgegaukelt, das so niemals existierte. Die Nähe der Folklore zum Kitsch kann oft nicht verleugnet werden. Im Folklorismus suchen viele Menschen in Zeiten der Globalisierung ihre überschaubare Welt, ihre Geborgenheit und ihre Identität und versinken gerne in eine Art Scheinwelt – was freilich nicht zu verurteilen ist.

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