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Ist das „Ehrenamt“ aller Ehren wert ?

von Siegfried Mager

     
  Siegfried Mager ist Vorsitzender des Trachtengaus Schwarzwald und stellvertretender Sprecher des Forums Volkskultur. Ehrenamtlich arbeitet er in der Redaktion des HEIMATPFLEGERS mit.  
     
Ehrenamtliche nennt man Mitarbeiter von Organisationen, kirchlichen Vereinen, sozialen Diensten oder staatlichen Organen (z.B. Gemeinden), die ihre Tätigkeit ohne Bezahlung verrichten.
Oft sind die Ehrenamtlichen (in ähnlichem Zusammenhang auch „Freiwillige“ genannt) Jugendliche, Rentner oder Arbeitslose. Es gibt jedoch auch Personen, die aus innerer Überzeugung deshalb einen bezahlten Job aufgeben oder halbieren.
 

Das Jahr 2001 war das Internationale Jahr der Freiwilligen. In diesem Zusammenhang haben zahlreiche Aktionen auf Bundes- und Landesebene stattgefunden. Bund, Länder aber auch Kommunen versuchen auf vielfältige Weise die Freiwilligenarbeit bzw. das Ehrenamt zu stärken. Oft wird in diesem Zusammenhang auch der Begriff bürgerschaftliches Engagement benutzt.
Seitdem ist eine ständig steigende Beachtung des ehrenamtlichen Engagements zu beobachten. Verschiedene Vereine und Verbände haben sich bundes-, landes- oder regionalweit zu Netzwerken zusammengeschlossen, um die Möglichkeiten und die rechtlichen Rahmenbedingungen für freiwillige Arbeit zu verbessern. Sie bieten auch Plattformen für Kommunikation und Informationsaustausch und binden Wissenschaft und Forschung ein, die sich mit Rahmenbedingungen und Wandel des Ehrenamtes im Dritten Sektor befasst und inzwischen auch eine umfangreiche Literatur zum Themenfeld hervorgebracht hat. Weiterhin gründeten sich in jüngster Zeit Projektbüros und lokale Netzwerke, die auch Beratungsangebote für Ehrenamtliche vorhalten. Eine Variante des Ehrenamtes ist die Arbeit in Selbsthilfegruppen.
 

Manche Dienste könnten ohne Ehrenamtliche kaum mehr existieren. Dazu zählen (neben vielen hier eigentlich anzuführenden Kinderbetreuern und Müttern): Berghütten, Bewährungshilfe, Caritas und Diakonie, Rotes Kreuz, viele Spitäler, Altenheime und Behinderteneinrichtungen, Sport- und andere Vereine. Auch der Brandschutz ist fast ausschließlich durch ehrenamtliche Kräfte gewährleistet.
Kritisch ist der Stellenwert ehrenamtlicher Arbeit in der gesellschaftlichen Gegenwartssituation zu betrachten. Einerseits liegt die Vermutung nahe, dass unbezahlte Arbeit bei ständig steigender Verschuldung der öffentlichen Haushalte und steigenden Kosten im sozialen und Gesundheitsbereich einiges von den nicht mehr bezahlbaren Aufgaben übernehmen soll, die in den letzten Jahrzehnten in den Bereich staatlicher Fürsorge fielen. Andererseits kann verstärktes bürgerschaftliches Engagement zur Stärkung des schwindenden Sozialkapitals, zum Empowerment des Individuums und zu einer neuen, politisch gefärbten Kultur des „Einmischens“ und Mitgestaltens in Gesellschaft, Kultur und Umwelt führen, die einer mit dem Versprechen der staatlichen Rundumversorgung entstandenen Konsum- und Anspruchshaltung und ihrer Folgen entgegenwirkt.
 

In Deutschland spielt das bürgerschaftliche Engagement eine besondere Rolle: 1999 wurde durch das Freiwilligensurvey der Bundesregierung herausgefunden, dass zwei Drittel der Bevölkerung in Deutschland an ehrenamtlichen Tätigkeiten beteiligt sind.
Auch die Arbeit vieler Open Source und Open Content-Projekte wie beispielsweise der Wikipedia wird zum größten Teil ehrenamtlich geleistet.
Aus: Wikipedia, Die freie Enzyklopädie, www.wikipedia.org
 

Kostenlos, aber nicht umsonst!

„Ehrenamt“, ein viel benutztes Wort für unentgeltliche Leistung in fast allen Bereichen unserer Gesellschaft. Für einen Baden-Württemberger ist es sicherlich kein Fremdwort, denn hier soll es die höchste Anzahl von ehrenamtlich Tätigen geben. Laut Statistik ist jeder Vierte ehrenamtlich tätig. Gleichzeitig gibt es in BW die meisten Vereine in Deutschland. Hat es dann etwas mit Vereinsmeierei zu tun? Das kann es auch nicht sein, denn es gibt sogar ein Landesforum „Ehrenamt und Bürgerliches Engagement“ unter der Betreuung des Ministeriums für Kultus, Jugend und Sport.
Die Vielfältigkeit der Auslegung lässt das Ehrenamt zur Unüberschaubarkeit der tatsächlichen Erscheinungsformen werden. Eine grobe Einteilung kann eine Übersicht für die Ehrenamtsbereiche ergeben.
 

Öffentliche Ehrenämter werden z. B. von Gemeinderäten, Laienrichtern, Schöffen und auch Verbandspräsidenten wahrgenommen.
In wirtschaftlichen Ehrenämtern sind Aufsichtsräte, Betriebsrat- und Gewerkschaftsmitglieder sowie Mitarbeiter in Wirtschaftsverbänden und Interessengemeinschaften.
Im Bereich der sozialen Ehrenämter wird ein sehr breites Spektrum im sozialen Gefüge unserer Gesellschaft abgedeckt. Zu diesem Bereich zählt die Krankenpflege, Altenpflege, Behindertenarbeit, Jugendpflege, Rotes Kreuz, Feuerwehr, Krebshilfe, Aidshilfe, die Caritas und Diakonie, um nur einige zu nennen.
 

Unter sonstige Ehrenämter zählt man allgemeine Vereinstätigkeiten, Bürgerinitiativen, den Freizeitbereich, Parteien und Interessenverbände.
Nun kann sich jeder aussuchen, unter welche Einteilung seine ehrenamtliche Tätigkeit fällt.
Laut „News 5/2004“ werden im Ehrenamt jährlich Leistungen für mehr als 100 Milliarden Euro erbracht. Die Behauptung „was nichts kostet, ist nichts wert“ trifft hier ganz sicher nicht zu. Doch oft stößt die ehrenamtliche Tätigkeit an Grenzen, wenn 100%ige Professionalität gefragt ist.
Doch geht es mir nicht um Definition und um die Auslegung von wohlklingenden Sonntagsreden der Politiker aller Couleur. Ich sorge mich um die Zukunft der ehrenamtlichen Tätigkeit in Vereinen und im sozialen Bereich. Wenn auch schleichend, doch unverkennbar nimmt die Bereitschaft ab, um Verantwortung im Ehrenamt zu übernehmen. Und das zu einer Zeit der 35-Stunden-Woche. Es kann also nicht an der zu Verfügung stehenden Freizeit liegen. In der Nachkriegszeit mit der 44-Stunden-Woche bis zwei Jahrzehnte später war das „Ehrenamt“ umworben, speziell in den Vereinen. Es war eine Ehre, eine gesellschaftliche Anerkennung für den Amtsinhaber.
 

Woran liegen die Ursachen, wenn die Freude und damit das Engagement für freiwillige Arbeit im Ehrenamt schwinden?
Ganz sicher nimmt die vermarktete Freizeitgestaltung einen der vorderen Plätze ein. Dazu gehören auch die Veränderungen im zwischenmenschlichen Verhalten der heutigen Gesellschaft. Viele leben für sich alleine, ganz individuell und können sich finanziell ein Single-Dasein ohne Einschränkung leisten. Die familiären Bindungen sind lockerer bzw. nicht mehr so gefestigt. In beiden Fällen muss keine zusätzliche Verantwortung übernommen werden. Damit lebt es sich deutlich leichter und für die Freizeitgestaltung, den Urlaub usw. müssen in keiner Weise Einschränkungen in Kauf genommen werden. Die sportliche Aktivität als Beispiel wird im Fitness-Club gestaltet und nicht mehr überwiegend im Sportverein. Wenn man dafür bezahlt, kann man Ansprüche stellen. Im Ehrenamt ist es genau umgekehrt. Hier muss man sich einbringen, auch unterordnen und den Ansprüchen des Amtes gerecht werden.
 

Eine wachsende Belastung des Ehrenamtes wird im sozialen Bereich erkennbar. Durch die Sparzwänge, wie z. B. im Gesundheitsbereich, werden viele Leistungen der ehrenamtlichen Tätigkeit überlassen. Dies führt zu zusätzlichen Belastungen und wirkt demotivierend.
Doch die heutigen Anforderungen an die Verantwortlichen eines Vereins sind nicht mehr mit denen von früher zu vergleichen. Hier wird Professionalität verlangt. Die rechtlichen, versicherungstechnischen, finanziellen und auch organisatorischen Anforderungen benötigen nahezu einen Fachmann. Dadurch entsteht ein beachtliches Mehr an Zeitaufwand. Die Mehrarbeit verteilt sich dann auf weniger Mitstreiter und wirkt ebenfalls demotivierend.
 

Durch die vielseitigen, höheren Belastungen vieler Vereine müssen sie kommerzielle Veranstaltungen durchführen, um das finanzielle Überleben des Vereins zu sichern. Dann ist sofort das Finanzamt mit im Boot. Wenn man hier nicht für das Finanzamt arbeiten will, muss der Vereinskassier fast die Kenntnisse eines Steuerberaters besitzen. Auch dieser Bereich ist nicht gerade motivierend fürs Ehrenamt. Und das alles als unentgeltliche Freizeitbeschäftigung mit einer geringen Aufwandsentschädigung für die angefallenen Kosten wie Telefon, Fahrtkosten und mehr. Wenn alles richtig gemacht wird, bringt es jedoch die Anerkennung der Vereinsmitglieder, der Gemeinde mit Bürgermeister und natürlich der Politiker ein.
Dafür müssen keine Anstrengungen unternommen werden, wie der größte Teil der Freizeit gestaltet werden soll.
 

Vergleicht man dazu die wirtschaftlichen Ehrenämter, dann sieht es hier doch deutlich besser aus. Angefangen vom Zeitaufwand bis hin zur Entschädigung kann der Rotkreuzler, der Feuerwehrmann oder der Vereinsmeier nur neidisch auf diese Art von Ehrenamt blicken. Trotzdem kann jeder für sich entscheiden, wo er sich einbringt.
 

Warum soll man sich im Ehrenamt einbringen? Wie schon oben aufgeführt, wird für unsere Gesellschaft eine nicht wegzudenkende Leistung im sozialen, kulturellen und sportlichen Bereich erbracht. Ohne die wäre das Leben bzw. das Zusammenleben bedeutend ärmer und viele Leistungen könnten gar nicht finanziert werden. Je nachdem, wo man sich einbringt, kann man an der Gestaltung der Gesellschaft mehr oder weniger Einfluss nehmen. Das sind zum Beispiel meine Beweggründe, warum ich mich im Ehrenamt so einbringe. So wie sich viele in anderen Bereichen bemühen, setze ich mich in der Heimatpflege speziell in der Trachten- und Brauchpflege ein und versuche durch meine Arbeit im Trachtenverband, im Forum Volkskultur und anderen Organisationen das Bestehende zu erhalten und weiter voranzubringen. Im Laufe meiner langjährigen Tätigkeit konnte ich manches bewegen und zur Anerkennung unserer Ziele in der Öffentlichkeit beitragen. Dazu kommen noch viele wertvolle Freundschaften, Begegnungen mit besonderen Persönlichkeiten, verbunden mit unzähligen schönen Stunden und Tagen, die ich nicht missen möchte. Wenn ich damit andere zur ehrenamtlichen Tätigkeit ermuntern kann, ist das auch eine Art der Belohnung. Nicht nur die gute Bezahlung von Leistung bringt Zufriedenheit, auch der ideelle Erfolg entschädigt voll und ganz. Das alles führt zu einer persönlichen Beachtung in der Öffentlichkeit, die anders gelagert ist, als das wirtschaftliche Ehrenamt.
 
Ich wünsche mir, dass der momentane Trend in Bezug zum Ehrenamt umgekehrt wird und wieder mehr Bürger für das Ehrenamt zu gewinnen sind.

Infos:

  • www.b-b-e.de/ - Bundesnetzwerk Bürgerschaftliches Engagement

  • www.buergergesellschaft.de/ - „Wegweiser Bürgergesellschaft“, Stiftung Mitarbeit, Bonn

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