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Geneigter Leser


 
es wird immer mehr von ihnen gesprochen. Ich meine die Ehrenamtlichen, die freiwillig bürgerschaftlich engagierten Menschen. Das Jahr 2002 war ihnen sogar weltweit gewidmet als Internationales Jahr der Freiwilligen. Ist dadurch etwas anders geworden für uns Ehrenamtliche? Haben wir Ehre? Haben wir ein Amt? Oder sind wir nur die Dackel der Nation?
     
  Im Dienste für andere verzehre ich mich.
Otto Graf von Bismarck
 
     

Als der kleine Max mit einem schweren Leiterwagen voll Kartoffeln unten an der Alten Weinsteige steht, kommt ein Mann, zieht ihm den Karren hoch bis Degerloch und verabschiedet sich mit den Worten: „Sag zu deim Vadder, wenn du wieder so schwere Sache hole muasch, er soll mitgange ond dir helfe.“ Fritzle ungerührt: „Mei Vadder hot gsagt, do wird scho so a Dackel komma ond dir helfe.“ Manchmal kommen wir Ehrenamtlichen uns ja so vor, als seien wir die letzten Dackel, die den Karren ziehen. Deren Selbstbewusstsein darf also wahrlich wachsen. Was wäre unsere Stadt, unser Land ohne Ehrenamtliche?
 

Rund ein Drittel der Bevölkerung engagiert sich freiwillig. Da sind die „Grünen Damen“ im Krankenhaus, die Trainer und Betreuer im Sportverein, Schülersprecherinnen, Elternbeiräte, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Seniorentreffs und Jugendgruppen, Bezirksbeirätinnen und Bezirksbeiräte, Karrenzieher in Bürgervereinen, Handels- und Gewerbevereinen, Gesangvereinen, Umweltinitiativen, Bürgerinitiativen und vieles mehr. Nicht zuletzt die freiwillig Mitarbeitenden in den Kirchengemeinden, die zahlenmäßig in Baden-Württemberg übrigens das größte Kontingent stellen. Es ist mir völlig unverständlich, dass die Kirchen, die über dieses größte „Humankapital“ verfügen, über alle möglichen Rückgänge jammern, statt mit dieser Gabe stolz und selbstbewusst, dankbar und fröhlich zu wuchern.
 

Das alles geschieht freiwillig. Und ohne Vergütung. Hoffentlich werden inzwischen wenigstens die Auslagen erstattet, die Freiwillige für ihr Ehrenamt aufbringen. Wenn ein Ehrenamtlicher sich sein Vorstandsamt fürstlich entlohnen lässt, darf das kein schlechtes Licht auf das Drittel der Bevölkerung werfen, das sich freiwillig und umsonst engagiert. Umsonst natürlich nur im Blick aufs Geld. Ansonsten lohnt sich solches Engagement. Es macht unsere Gesellschaft menschlicher. Es macht Ernst mit Eigenverantwortung. Es darf auch Spaß machen. Und was man dabei für sich selbst lernt, ist genau das, was in unserer Gesellschaft (auch von Arbeitgebern) dringend gefordert wird: die so genannten Schlüsselqualifikationen. Sie können nicht in der Schule, nicht in noch so teuren Kursen erworben werden. Vor diesem Hintergrund ist es blamabel, dass unsere Stadt ihren einzigen Ehrenamtsbeauftragten Anthony Brooks nur auf der Basis einer Arbeitsbeschaffungsmaßnahme beschäftigt hatte und ihn vor einem Jahr (ersatzlos) ziehen ließ, weil die wesentlich kleinere Stadt Herrenberg ihm für seine Aufgabe eine richtige Stelle schuf. Für andere Arbeitsplätze ist Geld da. Das ärgert Ehrenamtliche. Dieser Ärger ist nicht mit Hochglanzbroschüren und einem Fest im Jahr aufzuwiegen.
 

Ehrenamtliche Mitarbeiter werden immer mehr und immer wichtiger. Sie gestalten unsere Gesellschaft mit. Eine Gesellschaft, die ihren Karren selber zieht. Ehrenamtliche sind nicht die Dackel, sondern selbstbewusste Bürger. Ihr Tun wird hoffentlich immer mehr zur Einmischung. Wie sagt doch Max Frisch: „Demokratie heißt: sich in seine eigenen Angelegenheiten einmischen.“

 
Herzlichst

 
Rolf Lehmann
Wirtschaftsbürgermeister der Stadt Stuttgart a.D.
 

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