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Pfingstbräuche in Württemberg

von Wulf Wager

 Pfingsten, das Fest der Ausgießung des Heiligen Geistes, leitet sich vom griechischen Wort „pentekosté“ (der Fünfzigste) ab. Gemeint ist damit der 50. Tag nach Ostern. Doch in engem Zusammenhang mit den Feiertagen des Kirchenjahres stehen die Pfingstbräuche in Württemberg meist nicht. Pfingsten war vor allem auch das Fest der Hirten und Hütebuben. Zu Pfingsten trieben sie die Tiere erstmals nach dem Winter wieder aus. Ähnlich dem Almabtrieb wurde dabei ein Ochse festlich herausgeputzt. Daher der Begriff „Pfingstochse“, den man heute noch als Synonym für einen etwas zu gut angezogenen Mann verwendet. An einigen Orten hielten die Hütebuben einen Umzug durch das Dorf, um Eier, Mehl, Schmalz und Zucker zu heischen. Einige dieser Bräuche findet man noch heute im Zollernalbkreis und in den Dörfern um Ehingen an der Donau. Doch zunächst werfen wir einen Blick an den Fuß des Hügels, auf dem die von Uhland gerühmte Wurmlinger Kapelle steht.

Der Ritt um den Maien


Alle zwei Jahre treten die Zwanzigjährigen, das ist der männliche Jahrgang, der in früheren Zeiten rekrutiert wurde, zum Wurmlinger Pfingstritt an. Bereits in der Mitte des 19. Jahrhunderts ist das Wettreiten mit seinem vorangehenden Spiel ausführlich dokumentiert und seither kaum verändert worden. Die Hauptfigur ist der Pfingstbutz, eine komplett in Buchenlaub eingebundene, pyramidenförmige Gestalt. Um sie herum gesellt sich der Maienträger, der einen mit bunten Tüchern geschmückten Tannenbaum mit sich führt. Dieser Maien ist das Objekt der Begierde, denn ihn beim abschließenden Wettritt als erster zu erreichen, ist das Ziel der jungen Männer. Doch die beiden sind nur zwei Figuren aus einem reichhaltigen Figurenspiel: Platzmeister, Adjutant, Fähnrich, Quartiermacher, Kurier des Königs, Sohn des Mohrenkönigs, Koch des Königs, Kellermeister des Königs, Doktor Eisenbart und der Henker sind die anderen Figuren. Vor dem Gasthaus Rössle treffen die in historische Gewänder gekleideten Zwanzigjährigen – ausschließlich Männer – um mit lustig übertriebenen Selbstdarstellungen ihre Aufgaben vor dem Wettritt darzustellen.
Nach dem Spiel geht es in einem kleinen Umzug, angeführt von der Musikkapelle, hinaus auf eine Wiese unterhalb der Wurmlinger Kapelle. Hier köpft abschließend der Henker den Pfingstbutz symbolisch, und das Wettreiten um den Maien kann beginnen. Alle jungen Männer lernen das Reiten speziell, um an diesem Brauch teilnehmen zu können. Der Maien wird in der Mitte eines durch Sägemehl gekennzeichneten Kreises platziert. Etwa dreihundert Meter davon entfernt nehmen nun die waghalsigen Reiter Aufstellung. Die Rösser schnauben und scharren Grasbüschel aus der Wiese. Dann endlich gibt ein Trompeter das Signal zum Start. Dem Reiter, dem es gelingt, den Baum aus dem Kreis herauszuziehen, gebührt die Ehre des Pfingstkönigs. Sollte es auch im dritten Durchgang keiner schaffen, dann geht der Maien automatisch an den Pfingstbutz. Die Ehre ist allerdings höchst zweifelhaft, denn der Sieger muss seine Jahrgangskameraden beim anschließenden Fest freihalten.

Das Allebär-Treiben


In Schömberg im Zollernalbkreis wird die Grüngestalt per pedes durch den Ort getrieben. Die Protagonisten sind ebenfalls die „Zwanzger“. Aus fünf geknüpften Fliederröcken besteht das Blätterkleid des „Allebären“, das übereinander direkt auf den Körper des Allebär-Trägers gebunden wird. „Allebär“ (aus dem Französischen: aller = gehen) zu sein ist eine hochprozentige Angelegenheit, denn der Bär wird am Pfingstmontag von den Treibern nicht nur durch den Ort, sondern vor allem auch in die zahlreichen Gasthäuser der ehemals vorderösterreichischen Stadt im Oberen Schlichemtal getrieben.
 
„Allebär, rommeda,
jetzt isch der Sommer da,
jetzt isch die schönschte Zeit,
wo ma dia Bära treibt!
Allebär tanz! D’Stiefel send no ganz!“
 
So skandieren die Zwanzger aus rauen Kehlen und schlagen am Ende des eigentümlichen Singsangs mit ihren Ruten auf den Boden, um dem Allebär das Zeichen zu geben, dass er „jucka“, also hüpfen soll. Auch die Neuzehnjährigen machen manchmal schon einen Allebären, um sich auf die Zeit als „Zwanzger“ vorzubereiten.

Der Pfingstbutz am Ende der Welt


Nur wenige Ortschaften weiter nördlich, im Balinger Teilort Streichen, tragen Buben den Pfingstbutz durch die Straßen. Streichen ist ein „Sackort“. Wenn man hineinfährt, muss man dieselbe Straße wieder zurück. Wahrscheinlich hat sich durch diese abgeschiedene Lage der Pfingstbrauch bis in die heutige Zeit gehalten. Der Pfingstbutz ist eine schmale, etwa vier Meter hohe grüne Pyramide aus Buchenlaub, die von den stärksten Buben durch den Ort getragen wird. An mehreren Stellen wird die mit bunten Bändern und Schellen verzierte Gestalt aufgerichtet und die kleineren Buben heischen um Gaben:
 
„Pfingsbutz bin ich genannt,
Eier und Schmalz sind mir wohlbekannt,
Weißmehl schlag ich auch nicht aus,
meine Kameraden und ich
backen Dötsche daraus.“
 
Waren es zu früheren Zeiten Eier, Mehl und Schmalz zum Backen von „Dötschen“ (Pfannkuchen), so wollen die Jugendlichen heute lieber Geld. Nachdem der Pfingstbutz den Nachmittag lang durch alle Straßen getragen wurde, wird er am Maibaum befestigt und bleibt dort noch mehrere Wochen stehen. Erst mit dem Fällen des Maibaumes wird auch der Pfingstbutz entfernt.

Latzmann und Pfingstwägele


In etlichen Gemeinden des Alb-Donau-Kreises ziehen am Pfingstmontag ganze Horden von Kindern und Jugendlichen durch ihre Flecken. In den überwiegend katholischen Dörfern nennt man die mitgeführte Grüngestalt „Latzmann“, während in den evangelischen der „Lutherischen Berge“, die Grünfigur „Pfingstwägele“ genannt wird. Beiden gemeinsam ist auch hier das Heischen von Gaben, wie Eier, Mehl, Schmalz und Zucker. In den evangelischen Orten Ennahofen, Grötzingen und Weilersteußlingen wird die Grüngestalt auf ein Wägele oder einen Ladewagen montiert und durch den Ort geführt. In Grötzingen sind im Pfingstwägele zwei kleine, bekörnte Mädchen untergebracht – die Maienbräutle. Vier mit Pferdefliegenhauben bekränzte Buben ziehen das Wägele. Vorweg tragen die großen Buben einen „Pfengschtbaum“. An jedem Haus hält der Zug der Kinder und Jugendlichen. Der Pfingstbaum wird aufgerichtet und es wird ein Spottvers auf den Berufsstand des Hausherrn vorgetragen, bevor die Sammler Eier, Zucker, Mehl und Geld erheischen.
In den katholischen Orten Altsteußlingen, Hundersingen, Untermarchtal, Grundsheim und Altbierlingen wird ein komplettes Spiel an jeder Haustür aufgeführt. Verkleidete, an die Fasnet erinnernde Figuren wie Teufel, Hexe, Trabant, Kaiser Carolus, Schmalzbäddlr, Oierbäddlr, Maienträger und andere erbetteln die begehrten Gaben. Die „Latzma“ ist auch hier meist eine pyramidenförmige Grüngestalt, in die ein kräftiger Junge schlüpft. In Hundersingen gesellt sich zur Grüngestalt auch noch eine Strohgestalt, „dr Hoiza“, der an den Kampf des Winters gegen den Sommer erinnert. Das kulinarische Finale der Kinderumzüge findet meist in einer ausgeräumten Garage statt, in der einige Mütter aus Eier, Mehl und Zucker im schwimmenden Fett herrlich schmeckende Küchle backen, die der Lohn für den anstrengenden Brauch sind.

Der Trunk aus dem Gockel


Das Schwäbisch Haller Siedersfest, das die Nachfahren der reichsstädtischen Salzsiederfamilien alljährlich an Pfingsten zu feiern wissen, erinnert an die Wurzeln des Wohlstandes der Stadt am Kocher, das Salz, das von den Siedern aus Sole gesotten wurde. Längst spielt das Salz wirtschaftlich keine Rolle mehr. Zu folkloristischen und touristischen Zwecken, aber auch aus innerer Verbundenheit zu ihrer Tradition halten der „Große und der Kleine Siedershof“ die Fest- und Tanztraditionen der ehemaligen Handwerkerzunft in Ehren. Unter dem „Siedershof“ verstand man die berufsständische Gemeinschaft der Haller Sieder. Die Abhaltung des Siedershofes ist der festliche Repräsentationsbrauch der ehemals bedeutendsten Zunft, die Schwäbisch Halls Reichtum begründete.
Die Zünfte hatten in den Städten seit dem 12. Jahrhundert Verteidigungs- und Löschdienste zu leisten. Feuerwehren im heutigen Sinne gab es noch nicht. Die Historie beschreibt einen Mühlenbrand, bei dem die Sieder durch einen aus dem Dachladen der Mühle hinausfliegenden und heftig krähenden Hahn auf ein Feuer aufmerksam wurden und sofort Löschmaßnahmen einleiteten. Die Mühle konnte gerettet werden, was der Verdienst der „Sieder“ war. „Zum Andenken an diese mutvolle Tat bewilligte hinfort der Rat der Stadt der Siederkompagnie, alljährlich Früchte zu einem Kuchen und Wein zu einem Feste, das Siederkuchenfest oder Siedershof genannt wurde, mit der Bemerkung, dass sich die ledigen Siedersöhne auch künftig bei Feuersbrünsten auszeichnen und den Feurern kräftige Hilfe leisten sollen“, so eine Beschreibung von 1908.
In mehreren historischen Festordnungen ist der Ablauf des Siederfestes streng geregelt. Auch existieren zahlreiche, zum Teil über zweihundert Jahre alte Aquarelle und Zeichnungen des Siedersfestes, das zunächst am Peter und Paulstag (29. Juni) abgehalten wurde, heute aber an Pfingsten gefeiert wird. Zehntausende strömen alljährlich nach Hall, um die Sieder auf dem Marktplatz vor der großen Treppe der Michaelskirche und auf dem „Grasbödele“, der kleinen Insel in Mitten des Kochers tanzen zu sehen. Die roten Trachten der Sieder und die malerische Kulisse der urbanen Skyline Schwäbisch Halls bilden in selten authentischer Harmonie ein schon fast kitschig anmutendes Bild gelebten Haller Selbstbewusstseins.
Der Haller Germanist und Zeitgenosse der Brüder Grimm, Friedrich David Gräter, beschreibt 1812 die zeremoniell-getragenen „züchtigen“ Tanzschritte der jungen Siederpaare und die fast monotone Musik der Trommler und Pfeifer als „400 bis 500“ Jahre fortdauernde Tradition. Dass das Siedersfest und die Siederstänze eine lange Tradition aufweisen, ist unbestritten. Seit dem Mittelalter gab es Siedersfeste. Bevor die rotgewandeten Sieder ihre Tänzerinnen, ebenfalls stilecht in eine spätbarocke Siedertracht gekleidet und mit einem koketten Häubchen bekränzt, mit den Worten „Ein Tänzchen in Ehren darf niemand verwehren“, zum Tanze auffordern, kreist zuerst der kunstvolle Trinkpokal in Form eines Gockels in der Runde der Tänzer. Der Pokal erinnert an jenes Federvieh, das den Siedern seinerzeit zu unvergänglichem Ruhm und zu immer wiederkehrenden Räuschen verholfen hat und auch zukünftig verhelfen wird.
Immer ist der Gockel gut mit trockenem Riesling gefüllt, wenn die 1. Hofdame des Siedershofes den Pokal an den 1. Hofburschen übergibt. Er setzt seinen mit bunt schillernden Hahnenfedern verzierten Hut ab und hebt an, den ersten Trinkspruch auszubringen. Niemals fehlen darf nach einem Trinkspruch der obligatorische Wunsch an alle: „Xundheit“! Sollte mal einer diesen Zusatz vergessen, so muss er den nächsten Wein spendieren.
Noch um 1900 waren die Trinksprüche – darf man den schriftlichen Quellen glauben – gesitteter. Wahrscheinlich aber hat man der allgemeinen Moral zur Folge die deftigen Trinksprüche überhaupt nicht publiziert. Heute sind die Sprüche teils frech, derb und deftig. Aktueller Zynismus und bitterer Spott finden immer wieder in den Trinksprüchen der Sieder Ausdruck. Ist der Gockel von Sieder zu Sieder einmal um den Kreis der Tänzer gewandert, finden die Trinksprüche beim 1. Hofburschen den Schluss.
 
„Der Gockel ging von Mund zu Mund,
gefüllt mit Wein, dem besten,
ich mach den Schluss in dieser Rund,
der letzte Schluck den Gästen!“
 
Das übermäßige Trinken ist keine neue Erscheinung. Essen, trinken und tanzen gehört in allen Kulturen zu den Festriten. Im Zeitalter des Barock uferten die Feste der Sieder immer wieder aus. Wegen ihrer Saufgelage waren sie bei den Stadtherren berüchtigt und gefürchtet. Gleichwohl traute man sich ob der wirtschaftlichen Bedeutung für die Stadt nicht, den Siedern das Fest ganz zu untersagen. Wohl aber wehrte man sich gegen die Auswüchse. Davon zeugen zahlreiche Ge- und Verbote in den hällischen Archiven: „Die Sieder sollen bey den Schießen ihr übel gewohntes Saufen bey Straf einstellen“, hieß es 1675. Doch diesen Brauch konnten alle obrigkeitlichen Verordnungen in über dreihundert Jahren nicht abstellen.
Warum auch? „Xundheit!“

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